Aus der Hüttenwerkstatt
Zauberhaftes Rom
- Geschrieben von: Birgit Ohlsen
Zauberhaftes Rom. Streifzüge durch die Ewige Stadt. Wiesenburg Verlag, Schweinfurt 2008, 15,80 Euro. ISBN-Nr.978-3-939518-65-5
„…flüssiger, gewählter Ausdruck und ein nett zu lesender Stil, der persönliche Eindrücke, kleine Anekdoten und Erlebnisse sowie touristisch-historische Randnotizen umfasst. Eintrag auf http://www.roma-antiqua.de
„Birgit Ohlsen entführt den Leser wirklich in ein ‚zauberhaftes Rom‘. Sie kehrt zu ihren eigenen Wurzeln zurück, entdeckt die nahezu vergessenen Schönheiten der ewigen Stadt fern vom Touristenstrom. Der Wohnsitz des Großvaters in der Via Giulia dient als Ausgangspunkt ihrer Spaziergänge zu den Stätten der Vergangenheit. Sie wertet nicht, beleuchtet unvoreingenommen geschichtliche Hintergründe, die den Glanz des klerikalen Roms erblassen lassen und die Grausamkeiten der Geschichte in den Blickpunkt der Gegenwart rücken. Sie skizziert den Alltag Roms aus ihrer Sicht, die kleinen und die großen Ereignisse der „Ewigen Stadt Rom“. Ein ungewöhnliches Buch, geschrieben in meisterhafter Sprache, das in die Geheimnisse des Altertums entführt und einlädt, die Schönheit der Gegenwart Roms zu genießen.“ Christine Gradl, Lyrikerin (Hirschau) „in jedem fall ist ihr buch wirklich lesenswert. die stellen, wo sie ihre eigene urgroßväterliche vergangenheit aufscheinen lassen, gefallen mir besonders. auch diese informativen (für mich jedenfalls sehr interessanten) abschnitte über die jahrhunderte lange judenverfolgung finde ich ausgezeichnet und dann vor allem die beinahe lyrischen situationsbeschreibungen, so z.b. mit den katzen, dann dieses hinzaubern der eindrucksvollen brunnen - man sieht sie förmlich vor sich, man hört sie plätschern -, der bummel durch den friedhof... ach was, vieles gabs, was mich wirklich gefangen genommen hat.“ Helga Kolb – JanaJana, Dichterin, (Grasbrunn) |
„WIE EINE ÜBERLEBENDE“ In der Reihe ‚Reiseimpressionen‘ liegt hier nun bereits Band 12 vor, der uns ‚Streifzüge durch die Ewige Stadt‘ (Untertitel) präsentiert. Die Grundidee dieses Projekts scheint sich zu bewähren, nämlich daß uns verschiedene Autorinnen bzw. Autoren ihr ganz persönliches Bild einer Stadt oder einer Region vermitteln, wie das der Serientourist selten erlebt, weil ihm die Geduld und die Sensibilität des Poeten abgehen: „Hin und wieder wird hierbei ein nachdenkliches, kritisches Innehalten erforderlich.“ Und so sind wir dabei beim „Auskundschaften des bisher verborgen Gebliebenen (…) abweichend vom Mainstream gängiger Reisebeschreibungen“ (Klappentext). Daß sich letztlich als Gesamteindruck ein „zauberhaftes“ Rom ergibt, muß dann wohl am Reiz dieser exzeptionellen Stadt liegen. Ein Prinzip von solcherart Reiseliteratur ist es von jeher, angelesenes Vorwissen mit dem aktuell Vorgefundenen zu vergleichen. Oder man gelangt wie Birgit Ohlsen durch Reminiszenzen an ihren Großvater in die Via Giulia als Ausgangspunkt der Stadterkundung: „So schlenderte ich in aller Ruhe von Palazzo zu Palazzo, sah meist sehr genau hin und verglich das eine oder andere Nummernschild mit meiner mitgebrachten literarischen Vorlage.“ Jedenfalls entdeckt die Autorin auch das Haus, in der ihr Großvater dermaleinst gewohnt hatte – „und fühlte mich tatsächliche meiner Zeit enthoben.“ Auf dem Campo de’Fiori gedenkt die Autorin der sehr spät und halbherzig rehabilitierten Häretiker Giordano Bruno und Galileo Galilei. Auffällig oft und daher schon leitmotivisch tauchen Katzen auf. Für Bus und Metro gibt es keine Fahrpläne – diesen „liebenswert chaotischen Charakter“ der Stadt betont die Autorin besonders. Interessant für unsere deutschen Ohren vielleicht der Hinweis, wie entspannt man hier mit Religion und Politik umgeht: 50% der Römer sind Kommunisten, 98% Katholiken – hoch leben Don Camillo und Peppone! Da verwundert es auch kaum, daß man eines Mönchs mit einer Tragetasche und der Aufschrift „Mephisto“ ansichtig wurde. Ohlsen führt uns noch so manchen Weg durch Rom und versorgt uns mit Anekdoten und dem nötigen Bildungshintergrund. Wir erfahren weit über das übliche touristische Interesse hinaus Etliches aus der älteren und jüngeren Geschichte. Ohlsen findet das Haus der Kupferstechers Giovanni Battista Piranesi, dessen Bilder sie mit zu dieser Romreise animiert hatten. Wir gelangen aufs Capitol und zum Circus Maximus, zur Cestius-Pyramide und auch ins Ghetto, in welches früher die Päpste die Juden verbannt hatten. Heute ist der zentrale Platz des Ghettos am Portico d’Ottavia Restaurant und Pausenhof für eine jüdische Schule gleichermaßen. Statt den Vatikan anzusteuern, landet man beim Volksheiligen Pasquino, dem die Bevölkerung von alters her mit kleinen Zettelchen ihr Leid über die Obrigkeit klagte. Insgesamt sicher ein Bändchen für Rom-Besucher mit eigenwilligem und kritischem Blick – ein Beweis jedenfalls, daß man eine Stadt genießen kann, ohne die Augen vor ihren dunklen Seiten zu verschließen. Und so erscheint uns diese Stadt wie eine Überlebende, der wir durch unsere Besuche quasi auch immer wieder neuen Lebensmut übermitteln. (KS) KULT 27/08; Hg. Karl-Heinz Schreiber, Goldbach |
Ein allzu oft bemühtes Sprichwort in Verbindung mit Rom lautet: „Viele Wege führen nach Rom“ – Autorin Birgit Ohlsen fügt noch einen Nebensatz an: Viele Wege führen durch Rom. Und alle führen durch geschichtsträchtige Gassen und Straßen, vorbei an Plätzen, deren Begrenzungen in einem Redeschwall enden würden, wenn sie reden könnten. Birgit Ohlsen verleiht ihnen eine Stimme. Ihre Ziele sind vielen Romreisenden ein Begriff, doch der Weg da hin, steht in keinem Reiseführer niedergeschrieben. Sie wählt ungewöhnliche, aber nicht minder interessante Wege. In den unbesungenen Straßen im Gewirr der Tiber-Metropole gibt es so manches zu entdecken. Zum Beispiel in der Via Giulia – eine Straße, die für die Autorin eine ganz besondere Bedeutung hat. Von hier aus nahm ihre Liebe zu Rom ihren Lauf. In dieser Straße soll es in dieser Straße … ja sagen wir, spuken. Manche hören des Abends Geräusche von Pferden. Dann reiten die Geister der Kurtisanen Doralice oder Saltarelle durch die Stadt. Welche genau, kann man nicht feststellen. Doralice war die Kurtisane des Kardinals Cornaro. Sie wurde 1566 der Stadt verwiesen, was ihr natürlich so gar in den Kram passte. All die schönen Kleider, die Bediensteten, das Ansehen etc. waren mit einem mal dahin. Seitdem treibt ihr Geist in den Straßen des Viertels. Birgit Ohlsen versteht es meisterhaft die eingetretenen Touristenpfade als |
Ausgangspunkte für ihre Erkundungen und die damit Geschichten zu nutzen, um dann eine andere Seite Roms zu zeichnen. Sowohl geheimnisvolle Pfade als auch Massenattraktionen fließen in ihre Spaziergänge ein und bilden eine untrennbare Verbindung. Für den Leser öffnet sich so eine Welt, die er ohne Vorkenntnisse nur schwer entdecken könnte. Immer wieder streut sie kleine Geschichtchen ein, die den Wissensdurst löschen und den Lesefluss um die eine oder andere Biegung bereichern. (Gerade Flüsse sind zwar effektiv, aber ein mäandernder Flusslauf ist optisch ein Genuss.) Beispielsweise die Geschichte von der Eröffnung des ersten McDonalds in Rom. Der linke Intellektuelle Carlo Petrini veranstaltete aus Protest ein öffentliches Spaghetti-Essen. Wer Rom auf eigene Faust erkunden will, eine Unterkunft hat und sich ein wenig in Rom auskennt, kann alle Reiseführer beiseite legen. Dieses kleine Büchlein hält ein Rom parat, dass man so noch nicht gesehen hat. Mit entspannter Schreibweise und gleichzeitig spannender Erzählweise begleitet die Autorin den Leser vielleicht nicht durch die schönsten Ecken Roms, aber die interessantesten. Filmkulissen und antike Plätze gehen hier eine Verbindung ein, die vielleicht den eigentlichen Reiz Roms ausmachen. Oft beschrieben, verteufelt, geliebt – so ist Rom. Verträumt, faktenreich, offenbarend – so ist dieser Band aus der Reihe „Reiseimpressionen“ des Wiesenburg-Verlages.
Karsten Koblo auf www.aus-erlesen.de |
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Unruhige Tage
- Geschrieben von: Birgit Ohlsen
Das Protokoll, NordPark-Verlag, Wuppertal 2020 , 10 € ISBN 978-3-943940-62-6 |
Mit der Benennung einer Straße nach einer bekannten Persönlichkeit soll diese Persönlichkeit geehrt werden.
Eine Gruppe verantwortungsbewusster Wuppertaler Bürger hat sich vorgenommen, durch die Umbenennung der Dorpmüllerstraße in Rappoportstraße mit unkonventionellen Mitteln einen Menschen zu ehren, der sich seine Humanität nicht durch den Naziterror hat rauben lassen, der für seine Opferbereitschaft und praktizierte Menschlichkeit letztendlich mit dem Leben bezahlen musste.
Die Autorin protokolliert in diesem Buch die Abläufe der geforderten Umbenennung, belegt die Widerstände und die Zustimmung und zeichnet zugleich das Bild einer bewegten Zeit in einer westdeutschen Stadt.
Jorinde im Schloss
- Geschrieben von: Birgit Ohlsen
Jorinde im Schloss. Erzählung. Wiesenburg Verlag, Schweinfurt 2003, 12,00 Euro, ISBN-Nr. 3-932497-97-XEin Schloss und ein Schlüssel - um diese beiden zentralen Begriffe rankt sich das Geschehen in dieser Erzählung. Eine Frau stirbt, eine andere, ihre Tochter, begegnet der Sterbenden als Fremde. Gespräche und ein letzter Versuch der späten Annäherung spiegeln sich in den Verrichtungen, die im Verlauf einer Wohnungsauflösung notwendig erscheinen. Ein kleines Kind betritt die Bühne. (Klappentext)Die Erzählung «Jorinde im Schloss», an der die Verfasserin zehn Jahre gearbeitet hat, liegt ihr besonders am Herzen: Eine Frau stirbt, ihre Tochter, die ein Leben lang vergeblich um die Liebe der Mutter geworben hat, begegnet ihr auch jetzt als Fremde. Gespräche und ein letzter Versuch der Annäherung spiegeln sich in den Abwicklungen, Erinnerungen und unbeantworteten Fragen, die sich zum Schluss aus der Wohnungsauflösung ergeben. Auch dies eine lohnende Lektüre, poetisch, tiefgründig, sprachlich sensibel und genau bis in die letzten Verästelungen. Almuth Link, Taunuszeitung vom 13.08.2004
„Ich wünsche Dir ganz viele Leserinnen und Leser, Leser auch, denn es ist leicht übertragbar in eine männliche Welt. Und ich denke, dass das ein großes Buch ist, in mehreren Hinsichten, und dass dieser Wert nicht von Verkaufszahlen bestimmt wird, so wichtig diese auch sein mögen.“ Jo Micovich, Schriftsteller (Wuppertal)
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„ich habe soeben ein wunderbares buch zu ende gelesen. Wunderschön und todtraurig zugleich... Doch lassen sie mich zum sprachlichen zurückkommen: der text ist in hohem maße literarisch! Wie sie es geschafft haben, diese drei ebenen mit- und untereinander zu verbinden, ohne dass der leser sich nicht mehr zurecht finden würde, das ist wirklich klasse...“ Helga Kolb - JanaJana, Dichterin (Grasbrunn)Trauer & Trost „Ein Schloß und ein Schlüssel – um diese beiden zentralen Begriffe rankt sich das Geschehen in dieser Erzählung. Eine Frau stirbt. Eine andere, ihre Tochter, begegnet der Sterbenden als Fremde“. (Klappentext). Solch ein Szenario bedeutet üblicherweise Trauerarbeit. Nach dem Tod obliegt nun den zurückgebliebenen 3 Kindern die Wohnungsauflösung. Allerdings ist „Jorinde“ die Leidgeplagte: die Ich-Erzählerin sieht sich dieser Wohnung regelrecht ausgeliefert – ähnlich wohl wie Jorinde im Grimm’schen Zauberschloß. Zwischen die Verrichtungen des Sortierens der Gegenstände schiebt sich immer wieder quasi ein ebensolches Sortieren der Erinnerungen früherer Kindheits- & der letzten Krankheitstage. Fast obsessiv werden Details von Situationen, Personen, Gegenständen, Träumen & Ängsten präsentiert. Es gibt eine kleine Chronologie auf der Präsenzschiene, dazwischen funken Assoziationen aus früheren Phasen. Während Einrichtung & Wäsche nach & nach abgeholt bzw. verhökert werden, schälen sich auch zwiebelartig Abschiedsgeschichten ab. So verharrt „Jorinde“ tagelang in Isolation, während die Wohnung immer leerer wird. Nachdem die Protagonistin fast schon ihr Gefühl für Zeit & das Draußen verloren hat, kann sie die Wohnung verlassen & kann auch wieder an andere (künftige) Dinge denken. Ein Trauerbuch? Ein Trostbuch? Man darf sich nur nicht auf die depressiven Phasen der „Jorinde“ einlassen – man muß immer auf ein befreiendes Ende hoffen – ein Entrinnen aus dem „Schloß“ der Abhängigkeiten & Erinnerungen. Insgesamt aber vielleicht zuviel Trauer – zu wenig Trost. (KHS) KULT 18/2003„Habe Ihr Buch gelesen, das ist eine so wunderbare 'Seelenlandschaft' und genaue Beschreibungsebene. Für mich eine andere 'Welt', sehr genau und sich sehr nah der Schmerzgrenze nähernd...“ Monika Böss, Schriftstellerin (Mörsfeld/Pfalz)
Das Schloss, in dem Jorinde (im Märchen der Gebr. Grimm) gefangen war und zu dem es keinen Schlüssel gab, bildet hier den gedanklichen Hintergrund. Schlüssel ist hier im übertragenden Sinne gemeint. Ein Schlüssel zur Seele des Gegenübers. Eine Tochter trifft ihre Mutter als Sterbende. Beide haben sich über die Jahre entfremdet. Jakob Elias in http://www.literaturforum.de:80/forum/deutsche-belletristik/4124-birgit-ohlsen-jorinde-im-schloss.html
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Das Taubstummenhaus
- Geschrieben von: Birgit Ohlsen
Erzählungen. Wiesenburg Verlag, Schweinfurt 2004. Kritiken: TAUNUS-ZEITUNG, 13.08.04 Ein Leben für die Sprache Sie spricht schnell und sehr leise, wenn sie von ihrer Schriftstellerei erzählt. Birgit Ohlsen braucht das Schreiben wie die Luft zum Atmen – nicht aber Champagnerluft. Es ist eher die unparfümierte, schwerere Luft der Beladenen, der vom Leben Lädierten, die sie in sich einzieht, an der sie mitleidet, um sie dann in ihrer Wirkung jenen Menschen mitzuteilen, von denen sie Verständnis erhofft. Ihre Protagonistinnen gehören ihr mit Haut und Haar, sie lebt mit ihnen in einer Art Symbiose, lässt sie niemals los. Die Erzählungen in diesem Buch präsentieren sich aus einer gelungenen Synthese von harter Prägnanz und schwebender Leichtigkeit. Ob Mensch oder Pflanze, immer wird das Zarte, Verletzliche beleuchtet. Und oftmals kommen dann im Verlauf des Geschehens erstaunliche Kraftreserven zum Vorschein, aus deren Existenz sich Hoffnung schöpfen lässt. Die Autorin ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller. Almuth Link
Frankfurter Rundschau vom 13.08.04 Unvollendete Sätze im Taubstummenhaus Die Autorin Birgit Ohlsen hat ihr zweites Buch veröffentlicht / Erzählungen gehen unter die Haut und geben Rätsel auf. Das ist keine heitere Ferienlektüre. Nichts, was man im Liegestuhl lümmelnd zwischendurch genießen und mit Sonnenölspuren versehen leichthändig beiseite legen könnte, wenn der Liebste oder ein eisgekühltes Lieblingsgetränk naht. Fast alle 19 Erzählungen, die Birgit Ohlsen unter dem Titel "das taubstummenhaus" jüngst veröffentlicht hat, stimmen sehr nachdenklich, einige gehen unter die Haut, die besten sind kafkaesk-irritierend. Birgit Ohlsen berichtet offenbar nicht gerne über sich selbst. Aber sie kann erzählen. Mehr noch: Sie schlüpft stilistisch regelrecht in die Personen hinein, von denen sie erzählt. In das Kind zum Beispiel, das die sprachlichen Schwarzweißmalereien der Erwachsenen nicht versteht: "FRANZOSEN sind gut - brachten sie dem Kind bei. RUSSEN sind schlecht." Auch das junge Mädchen und seine Gefühle bei einer Vergewaltigung schildert sie von innen heraus. Ebenso die Gleichgültigkeit der Dorfbewohner nach dem Selbstmord eines taubstummen Paares, das nur knapp der Euthanasie der Nationalsozialisten entgangen war. "Und so hat alles wieder seine Ordnung bekommen im Dorf", lautet der lapidare und zugleich vielsagende letzte Satz dieser titelgebenden Geschichte "Das Taubstummenhaus". Lapidar und vielsagend zugleich wirkt auch Birgit Ohlsens häufiger angewandtes Stilprinzip, Sätze nicht zu vollenden. Zum Beispiel in der Erzählung "Frau, von Flucht träumend", in der auf flirrend-irritierende Weise von einem vielleicht toten, vielleicht aber auch gar nicht vorhandenen Vögelchen die Rede ist: "Ein winziges Federflaumfragment, das sich graugelb zwischen Haut und scharfgezackten Blattrand zu schmiegen suchte und sich unmittelbar nach dieser flüchtigen Berührung in Nichts aufzulösen schien." Was wirklich passiert ist, erfährt man nicht. "Es sei denn", so endet der offene Schluss. |
"Vielleicht auch so etwas wie" - diese besonders faszinierende Geschichte arbeitet bereits im Titel mit dem unvollendeten Satz. Und hier besonders überzeugend. So, wie Birgit Ohlsen da eine in sich selbst verkrochene, von Angst vor jeglicher emotionaler Hingabe geschüttelte Büroangestellte beschreibt, wie sie deren allmählichen Veränderungsprozess sensibel beschreibt und zu einem wahrhaft überraschenden Schluss führt - das erinnert in Ansätzen an Kafkas "Die Verwandlung". DAGMAR SCHERF (Frankfurter Rundschau) Literatur ist immer Tatsachenbericht. Aber in welcher Art die Tatsachen übermittelt werden, das ist erst der Maßstab für schriftstellerische Qualität. Birgit Ohlsen steht eine Feinzeichnung der Vorgänge zur Verfügung, die von großer Prägnanz ist. Äußerliches wird in kleinen Farbtupfern einbezogen, als sei alles völlig harmlos. Dann folgt das wunderbar sanfte Zuschlagen, die berechtigte Anklage, oft der brutale Einbruch einer verlogenen Welt. In einigen Geschichten wird die Wehrhaftigkeit des Zarten, Verletzlichen kenntlich, aber immer mischt sich Außen und Innen zu einem Bild komplexer Wirklichkeit. Das ist hohe Sprachkunst, ein Genuss für den Leser, und Erkenntnishilfe außerdem (noch). Jo Micovich, Literaturdozent (Wuppertal) KULT 20/2004: UNAUFDRINGLICH BETROFFEN Birgit Ohlsen, Das Taubstummenhaus (Wiesenburg Verlag, Schweinfurt 2004) 119 S., € 14,50 Die Autorin legt hier Erzählungen vor über den "brutalen Einbruch einer verlogenen Welt", aber auch über die "Wehrhaftigkeit des Zarten, Verletzlichen" (Klappentext). Mag auch der Titel etwas an Isabel Allendes 'Geisterhaus' erinnern - Ohlsen hat ihre eigene Diktion - & vielleicht wird dies sogar am deutlichsten im allerersten Text 'FRAGment vom begriffsstutzigen Kind'. Eine Parabel auf das Nichterklären- & Nichtverstehenkönnen der Welt aus der naiven Perspektive (des Kindes), die mit der political correctness (der Erwachsenen) kollidiert. Ein raffiniertes Spiel mit diversen Wahrnehmungsebenen erleben wir in 'Alle Sommer wieder' - hat die beschriebene Vergewaltigung nun realiter oder nur in der Phantasie des Mädchens stattgefunden?! Die intensivste Geschichte mag wohl sein: 'Frau, von Flucht träumend', eine Quasi-Bildbeschreibung nach Joan Miró - nicht zuletzt deswegen, weil hier (auch) mit fragmentarischen Sätzen gearbeitet wird: "Und sie wunderte sich jedes Mal wieder, da sie spürte, daß sie die wahre Ursache, den Sinn auch dieses Schmerzes nie würde ergründen, nie würde verstehen - es sei denn." Und noch ein Text sticht heraus: 'Von denen die es gar nicht gibt' - handelnd von den aus der Gesellschaft Ausgeschiedenen, die traurigerweise nur noch davon träumen können, dermaleinst jemand gewesen zu sein: "Nummern wie du und ich." Greift hier nicht die Melancholie sozialer Dialektik?! Ohlsen arbeitet mit Andeutungen, Auslassungen - wohl um den Leser zu aktivieren - frei nach Sartre: "Lesen ist gelenktes Schaffen" - komplettiert sich ein Text erst durch den jeweiligen Leser. Was natürlich immer eine Herausforderung bedeutet - aber was ist, wenn der Leser quasi nicht im Sinne der Autorin weiterassoziiert?! Wobei sich gute Literatur immer durch Offenheit auszeichnet - den Leser fordernd. Die hier vorgelegten Geschichten werden unaufdringlich dargeboten, atmen aber dennoch eine fundamentale Betroffenheit. Ohlsen gelingt hier durchaus die Balance zwischen der Unausweichlichkeit der Atmosphäre & einem schwebenden Ton. Die Titelgeschichte ist der deutlichste Beweis dafür - diese Autorin meint alles sehr ernst - manchmal täte wohl etwas Ironie auch gut. Was freilich u.a. die Frage aufwirft, ob es denn tatsächlich Stoffe gibt, die sich selbstredend Ironie verbitten?! (...)Tragische menschliche Schicksale scheinen in diese Kategorie zu gehören. Man sollte auf jeden Fall noch zur Kenntnis nehmen, daß Birgit Ohlsen auch ausgezeichnete eigene Farbphotos beigefügt hat. KS
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