Aus der Hüttenwerkstatt
Tahruk: Hörversion eines Märchens
- Geschrieben von: Günter Opitz-Ohlsen
Es war einmal in einem fremden Land, auf einem unbekannten Planeten, in einer noch nicht entdeckten Galaxie ein Mann, der hieß Tahruk. Das bedeutet so viel wie Herr Großklein. Jukur, so hieß das Land, und die Stadt, in der er wohnte, hieß Jekurit. Tahruk hatte sehr, sehr viel zu tun. Immer wieder kamen Jekuriten zu ihm, die entweder zu kleine oder zu große Sachen gekauft hatten und damit nicht zufrieden waren...................
Kennst du das Land Real?
- Geschrieben von: Günter Opitz-Ohlsen
Komplexia
I.
Kennst du das Land Real? Nein? Das ist schade, denn in Real hat sich etwas zugetragen, was ich dir jetzt unbedingt einmal erzählen muss. Am Besten ist wohl, wenn ich dir das Land zuerst vorstelle.
Das Land Real ist ein schnurgerades Land im wahrsten Sinne des Wortes. Du kannst es dir wie ein gespanntes Seil vorstellen. Nichts Besonderes auf den ersten Blick, wirst du einwenden. Doch wenn du willst, kannst du in Real dein ganzes Leben lang geradeaus gehen, ohne dabei je wieder an deinen Ausgangspunkt zurückzukehren.
Ein solch großes Land gibt es nicht, wirst du sagen. Aber Real hat keine Grenzen, keinen Anfang und kein Ende; es ist einfach unendlich groß. Sicherlich ist es schwierig, sich das vorzustellen, doch die Menschen in Real interessiert das nicht. Na ja, es handelt sich nicht gerade um Menschen wie du und ich welche sind. Aber – wie soll ich die Bewohner nennen? Na klar, so wie es in Sizilien die Sizilianer gibt, so wohnen in Real die Realisten.
Du wirst dir vielleicht überlegen, ob du das Land nicht doch schon kennst. Eventuell überlegst du dir auch, dort Urlaub zu machen, um mit deinem Fahrrad stundenlang geradeaus zu fahren. Aber das ist gar nicht so einfach. Schlägst du eine Karte auf, so findest du England, Frankreich oder Kanada. Aber wo liegt eigentlich dies Real? Real ist auf keiner Karte verzeichnet, und woher sollst du auch wissen, wie du dorthin gelangen kannst?
Sei nicht traurig. Manche Länder erreicht man nie, obwohl es sie gibt. Sie sind so weit weg wie der Mars oder die Sonne. Keine Chance, dort jemals hinzukommen. Man kann sich nur vorstellen, wie es dort ist. Und so ist es mit Real auch, obwohl man dort niemals hinfahren kann, auch nicht mit dem schnellsten Schiff, dem schnellsten Auto, dem schnellsten Flugzeug. Ja, nicht einmal mit einem Raumschiff. Lass mich lieber erst einmal weitererzählen, denn in Real gibt es so manches Sonderbare, das das Land erst so interessant macht.
Die Realisten, das musst du nämlich wissen, leben nach ganz bestimmten Regeln. Es sind einfache Regeln und das liegt wohl hauptsächlich daran, dass das Land so schnurgerade ist. Wenn zum Beispiel Erich seinen Freund Klaus besuchen will, so geht er entweder geradeaus oder er dreht sich um und geht dann eben geradeaus weiter. Wenn Erich sich aber umdreht, so wird ihm schwindelig, wie nach einer Karussellfahrt. Dann kann er nicht mehr erkennen, was um ihn herum vor sich geht, und erst wenn er wieder still stehen bleibt, sieht er Real ganz deutlich vor sich liegen. Jetzt kann er sich auf den Weg machen und Klaus besuchen.
Jeder Bewohner in Real kennt dies Schwindelgefühl beim Umdrehen. Es ist sehr unangenehm und Gegenstand vieler Untersuchungen gewesen. Doch es lässt sich nicht vermeiden.
Einige besonders kluge Realisten (bei uns würden wir sie Wissenschaftler nennen), haben das Realsyndrom, wie sie das Umdrehen nannten, untersucht. Aber erklären konnten sie es bisher nicht.
Also haben sie sich überlegt, wie man nicht den einen oder anderen Euro mit dem Realsyndrom verdienen kann. Die einen preisen die automatische Augen-zu- Umdrehbrille an, die wie eine Sonnenbrille automatisch bei einer Drehbewegung die Augen abdunkelt. Die anderen schwören auf Drehpillen, die man einnehmen soll, bevor man sich umdreht.
Doch das ist alles Schwindel. Niemandem hat das jemals geholfen. Und dass das Umdrehen schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben soll, wurde niemals bewiesen, nur von den Anbietern behauptet, um ihre nutzlosen Produkte an den Realisten zu bringen.
Seit neuestem hat sich in Real zu der Sache mit den Drehpillen eine Gegenbewegung formiert. Es wird behauptet, dass die Drehpillen schädliche Nebenwirkungen haben. Deshalb soll man beim Umdrehen die Augen einfach schließen und abwarten, bis das Schwindelgefühl vorbei ist, dann die Augen wieder öffnen und weiter gehen, als sei nichts gewesen.
Dies wird damit begründet, dass das Realsyndrom offenbar zur Natur der Realisten gehört und deshalb auch nicht schädlich, sondern eher förderlich für jeden Realisten sei. Überall in Real werden Drehseminare und Workshops angeboten, weil man glaubt, dass ein Realist umso älter wird, je öfter er sich in seinem Leben umdreht. Die Drehtheorie konnte durch die letzte Volkszählung in Real allerdings nicht belegt werden.
Bei dieser Volkszählung musste jeder Befragte angeben, zu welcher Gruppe er gehört. In Real gibt es nämlich auch Realisten, die sich niemals in ihrem Leben umdrehen. Sie gehen immer nur in eine Richtung und sind deshalb auch gezwungen, ständig ihren Wohnsitz zu wechseln. Diese Realisten nennt man Monoisten – ganz im Gegensatz zu den Stereoisten, die sich in beiden Richtungen bewegen.
Wenn nun das Umdrehen tatsächlich einen Einfluss auf das Alter der Realisten hätte, so müssten die Monoisten im Durchschnitt älter oder jünger sein als die Stereoisten. Da dies aber nicht der Fall war, geht man seit der Veröffentlichung der Ergebnisse in Real offiziell davon aus, dass das Umdrehen keinen Einfluss auf das Alter hat.
Dies höchst wissenschaftliche Ergebnis machte auf die Realisten allerdings keinen Eindruck. Im Gegenteil: Die Anzahl der verkauften Brillen und Pillen sowie der Besuch der Drehseminare stieg seit der Veröffentlichung der Volkszählung sprunghaft an. Wie du siehst, sind uns die Realisten ziemlich ähnlich, obwohl sie in einem sonderbaren Land leben.
Ach! Ich muss dir aber auch noch von Realisten erzählen, die sozusagen am Rande der Gesellschaft leben. Real ist, genau wie Deutschland, in Bundesländer aufgeteilt und es geht sehr demokratisch zu in Real, obwohl die Realisten einen König haben, der nicht gewählt wird. Aber davon später.
Nun magst du glauben, dass jeder Realist in einem Bundesland leben muss, wenn Real doch in Bundesländer aufgeteilt ist. Doch da liegt gerade der Hase im Pfeffer begraben. Es gibt tatsächlich Realisten, die in keinem Bundesland leben, aber trotzdem Bewohner von Real sind. Man weiß noch nicht einmal wie viele es sind. Man vermutet, dass es sogar die meisten Realisten sind.
Diese Realisten treten kaum öffentlich in Erscheinung. Zwei von ihnen sind aber bekannt im ganzen Land. Es handelt sich um Pitor und Etor.
Pitor und Etor sind die bekanntesten Wissenschaftler in Real. Pitor hat zur Zeit der Okkupation Reals durch die Ganzen mit seinem Spruch: „Zerstöret meine Kreise nicht!“ Berühmtheit erlangt. Damit brachte er zum Ausdruck, dass die Realisten sich nicht unterkriegen lassen und Freiheit für sie das höchste Gut ist. Hierdurch löste er in Real den Widerstand gegen die Ganzen aus, die sich letztendlich zurückziehen mussten.
Heute leben sie mit den Realisten friedlich vereint, haben aber eine Sonderstellung. Der König Reals ist nämlich ein Ganzer. Warum dies so ist und wieso die Ganzen Real belagerten, wirst du später erfahren, wenn ich dir über die Kinder in Real erzähle.
Und was ist mit Etor? Den kennst du vielleicht auch. In früheren Zeiten war er auf jedem Zehnmarkschein zu sehen, und in Real ist er der Fachmann für Volksbefragungen und Wahlprognosen.
II.
Ich glaube, jetzt ist die Zeit gekommen, um endlich über die Kinder in Real zu erzählen, damit du auch verstehst, warum es zur Okkupation Reals kam und warum es einen König in Real gibt, obwohl das Land sehr demokratisch organisiert ist.
Das Merkwürdige an den Kindern der Realisten ist einmal, dass sie vom Zeitpunkt ihrer Geburt an ihr Aussehen nicht mehr ändern. Sie sehen aus wie erwachsene Realisten und sind deshalb auch in allen Fragen gleichberechtigt. Noch viel merkwürdiger aber ist die Tatsache, dass ein Teil der Realisten stets zwei Kinder bekommt und der andere Teil überhaupt keine.
Die Realisten, die Kinder bekommen, haben durchweg eine positive Lebenseinstellung. Sie halten daran fest, dass sich für sie früher oder später alles zum Guten wenden wird, wenn man nur daran glaubt. Selbst die ärgsten Widerwärtigkeiten tun sie mit dem Spruch ab: es hätte ja schlimmer kommen können. Sie heißen Positivisten.
Die anderen Realisten, die keine Kinder bekommen, heißen Negativisten und du kannst dir sicherlich vorstellen, was die Kinderlosigkeit für die Negativisten bedeutet: „Wir werden aussterben!“ beklagen sie sich, „weil wir keine Kinder bekommen. Wir müssen etwas dagegen tun!“ und so begannen sie eines Tages, sich mit den Positivisten zu streiten.
Übrigens erwarten die Negativisten nicht viel vom Leben. Sie vermuten immer einen Haken an jeder Sache. Sie sind sehr skeptisch und hinterfragen jede Kleinigkeit. Kein Wunder, da sie doch befürchten mussten, bald nicht mehr in Real zu leben.
Zusätzlich kam hinzu, dass auch die Positivisten plötzlich anfingen, sich zu streiten, denn die Ganzen waren der Meinung, sie seien etwas Besseres als die anderen Realisten. Sie behaupteten sogar, dass ganz Real aus ihren Reihen hervorgegangen sei.
Durch aufwendige Kampagnen im Radio und im Fernsehen verbreiteten sie ihre Ideen und stellten die anderen Realisten als minderwertig dar. Wegen dieser Stimmungsmache trauten sich die anderen Realisten nicht mehr, den Ganzen zu widersprechen. Außerdem versprachen die Ganzen den Negativisten, wegen der Kinder einen Ausgleich zu schaffen.
Zuerst waren die Negativisten sehr skeptisch gegenüber solchen Versprechungen, doch am Ende verbündeten sie sich mit den Ganzen, so dass die Ganzen immer mehr Einfluss in Real erlangten.
Unter den Ganzen gab es eine ganz besondere Persönlichkeit, und das war die Eins, die bald ihr Wortführer wurde. Da ein Kind der Eins aber immer so aussah wie die Eins selbst, glaubte man, dass sie unsterblich sei. Die Kinder der anderen Realisten, die sie Wurzeln nannten, sahen hingegen immer anders aus als ihre Eltern.
So gelang es der Eins, die Negativisten und die Ganzen um sich zu scharen und die Macht an sich zu reißen. Sie ließ sich zum Herrscher über Real ausrufen, was als die große Okkupation in die Geschichte Reals einging.
Dies wäre auch fast gelungen, wäre da nicht Pitor gewesen, der bei der Annäherung der Armee, die die Eins zusammengestellt hatte, eben diesen einen bedeutungsvollen Satz sagte. Du erinnerst dich vielleicht noch an den Satz mit den Kreisen, die nicht zerstört werden sollten.
Die Realisten waren davon so beeindruckt, dass sich ein einziger von ihrer Übermacht nicht ängstigen ließ, dass sie sofort alle Waffen fallen ließen und einfach nur still und stumm stehen blieben.
Dieser denkwürdige Tag wird noch heute in Real als der Tag der großen Befreiung von der Okkupation gefeiert. Und was ist aus der Eins geworden? Nun, sie ist König in Real geblieben, obwohl später in den Zeitungen enthüllt wurde, dass sie keineswegs unsterblich war, sondern ihr Kind von Geburt an eben nur so aussah wie sie selbst.
So befand man, dass dies schon ein Grund sei für die Eins, König von Real zu bleiben und dass dies Amt automatisch auf ihre Kinder übergehen sollte. Doch die Eins wurde zu strengster Neutralität verpflichtet, damit sie keinen Einfluss mehr auf die Politik Reals ausüben konnte.
Und was war mit den Negativisten? Sie bekamen keine Kinder und wären aus Real bald verschwunden. Da nun alles demokratisch zugehen sollte in Real, beschloss man, eine Versammlung abzuhalten, zu der alle Bewohner eingeladen wurden, um das Problem zu lösen.
III.
Bis jetzt habe ich dir aber nur von den Negativisten und Positivisten erzählt. Na klar! Du hast recht ! Da gibt es noch eine Bewohnerin Reals, die keiner so recht kannte und ein rechter Sonderling war. Niemals ließ sie sich blicken. Nur an ihrem Haus musste man immer vorbei gehen, wenn ein Positivist einen Negativisten besuchen wollte oder umgekehrt.
Ihr Haus sah aus wie ein Ei. Es war ganz weiß gestrichen und zu beiden Seiten der Eingangstür befanden sich zwei kleine Fenster. Aus dem linken Fenster schaute sie immer hinaus, um zu beobachten, wer gerade an ihrem Haus vorbeiging. Und das waren nicht gerade wenig. Denn zur Versammlung mussten alle Negativisten zum König kommen und damit zwangsläufig an ihrem Haus vorbei gehen.
Von der Null ist hier die Rede. Sie war so unscheinbar, dass die Realisten sie gar nicht bemerkten, wenn sie ihr Haus verließ. Natürlich war die Null auf der Versammlung, aber sie ist keinem Realisten aufgefallen. Und eigentlich hätte die Null Königin von Real werden müssen, weil sie kein Kind bekam und unsterblich war.
Selbst die Negativisten sind niemals auf die Idee gekommen, das Wesen der Null zu hinterfragen. Sie hatten alle Hände voll damit zu tun, das Umdrehen und ihre eigene Kinderlosigkeit zu hinterfragen.
Wie es auch immer gewesen sein mag, eines steht fest: Es trafen sich alle Realisten auf der Versammlung. „Da wir hier in unserem Land nun einmal das Problem mit den Negativisten haben und wir auch nicht sagen können, woran es liegt, dass die Negativisten keine Kinder bekommen, schlage ich vor, alles beim Alten zu lassen, damit die natürliche Ordnung der Dinge nicht gestört wird.“ begann ein Positivist seine Rede.
„Dann sterben wir aber aus“, wandte ein Negativist ein, „und was habt Ihr dann davon. Ihr lebt dann zwar allein in Real und braucht euch nicht mehr unsere Fragen anzuhören. Doch unsere Fragen und Einwände sind es doch gerade, die uns helfen, die natürliche Ordnung der Dinge zu erkennen. Seien wir doch ehrlich: wer von uns weiß denn genau, wie die natürliche Ordnung aussieht? Es könnte doch auch ganz anders sein. Wer sagt Euch Positivisten denn, dass Ihr nur deshalb Kinder bekommen könnt, weil wir keine haben. Es könnte ja schließlich so sein, dass das Problem der Kinderlosigkeit auch bei Euch auftritt, wenn wir nicht mehr sind. Natürlich könnte es auch ganz anders sein. Aber in einem sind wir uns einig: Wir stammen doch alle vom Großen Gleichen ab. Wir leben alle im selben Land und haben die gleichen Lebensgewohnheiten. Warum sollten wir Negativisten also keine Kinder bekommen?“
Die Positivisten mussten dem letzten Redner Recht geben. “Doch wie sollen wir das machen?“ warf da ein Positivist ein. „Schließlich wird Euer Teil des Landes immer kleiner, wenn unsere Bevölkerung immer stärker wächst.“ Wir müssen irgendwie einen Ausgleich schaffen, von dem wir alle profitieren.“
„Ja! Einen Ausgleich!“ fiel dem Redner ein anderer Positivist namens Posinus, ins Wort. „Das ist die Lösung und wurde auch damals schon von der Eins versprochen.“ Die Eins wollte darauf etwas erwidern, hielt sich dann aber doch zurück. Schließlich hatte sie sich für immer zur Neutralität verpflichtet. Und dazu gehört auch, seine Meinung nicht öffentlich zu sagen.
„Während die Negativisten immer weniger werden und auszusterben drohen, werden wir Positivisten immer mehr und unser Teil des Landes wird immer kleiner. Bald werden wir keinen ausreichenden Platz mehr haben, Häuser zu bauen, Ball zu spielen, Fahrrad zu fahren. Beides ist schlecht für Real. – Aber ich wüsste eine Lösung für dies Problem“, fügte er hinzu. „Hiermit schlage ich vor, dass je ein Kind bei den Negativisten aufwächst und das andere bei uns bleibt. Dann ist alles wieder im Gleichgewicht und keiner hat einen Nachteil davon.“
„Umgekehrt wird da eher ein Schuh daraus!“ empörte sich ein Negativist. „Wie sollte das aussehen? Was würdet Ihr von uns dafür verlangen? Das würde uns aber teuer zu stehen kommen! Diese kleine Gefälligkeit würde für uns ständige Abhängigkeit von Eurer Bereitschaft bedeuten, ein Kind zu uns zu geben. Dann wäre es vorbei mit unserer Selbständigkeit. Vielleicht müssten wir euch für das Kind bezahlen oder andere Gefälligkeiten erweisen, falls es einem Positivisten einmal in den Sinn kommt, sein Kind nicht so ohne weiteres abzugeben.“ Dabei wandte er sich zu den Negativisten und erhob den Zeigefinger: „Ich wähle lieber die Freiheit, Freiheit, jawohl, anstatt die ewige Knechtschaft unter der Kinderknute der Positivisten!“
Als er endete, hatte er schon seine Hand zur Faust geballt und sang das Freiheitslied. Das war allerdings ein berechtigter Einwand. Die Versammlung musste erst einmal unterbrochen werden.
Die Negativisten berieten untereinander, wie sie die Verhandlung weiterführen sollten. Schließlich konnten sie sich ja nicht in die Abhängigkeit der Positivisten begeben. Oder mussten sie dies gerade tun, um weiter leben zu können?
Sie waren in eine Sackgasse angelangt und wussten nicht mehr weiter. Und wie dies in solchen Situationen ist, beschlossen sie, erst einmal auf ihrem Standpunkt zu beharren.
Aber wie sah es bei den Positivisten aus? Viele waren gegen Zwietracht. Sie wollten die Kinder den Negativisten ganz einfach geben, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Andere wiederum gaben zu bedenken, dass es schon einer Kinderregelung bedürfe, um den Negativisten ein Recht auf ihr Kind zu geben, das sie einklagen konnten, falls ein Positivist eines seiner Kinder dennoch nicht abgeben wollte. Damit wären die Negativisten auch vor Willkür geschützt. Sie könnten sicher sein, in jedem Fall eines der Kinder der Positivisten zu bekommen, ohne jegliche Gegenleistung ihrerseits. Allein der Rechtsordnung halber.
Und als die Realisten dies zusammen bedachten, wurde ihnen plötzlich klar, wie frei sie wirklich waren. Außer der natürlichen Ordnung gab es für sie eine eigene, von ihnen geschaffene Ordnung, die sie von nun an Rechtsordnung nannten und die sie schriftlich festhielten in dem berühmt gewordenen Kindergrundrecht eines jeden Realisten.
Um es kurz zu machen: der Vorschlag der Positivisten mit dem Kindergrundrecht eines jeden Realisten wurde einstimmig angenommen. In der abschließenden Schlussakte, die feierlich versiegelt und im Haus der Eins aufbewahrt wurde, war von der Rettung und der Freiheit Reals die Rede. Dieser denkwürdige Tag wurde von nun an zum Landesfeiertag erklärt.
Jedes Jahr feierte man von nun an in Real das Ereignis der Schlussakte vom i,j-ten, denn nach dem Kalender, den es in Real gab, war es genau der i,j-te, an dem die Schlussakte unterzeichnet wurde.
Was aber machte unterdessen die Null? Nun, sie wurde wie immer von keinem Realisten beachtet. Aber wenn du die Null auf der Versammlung gesehen hättest, so hättest du dich des Gefühls nicht erwehren können, dass sie den Ausgang der Verhandlungen schon gekannt haben musste. Ja, als ob die Null sozusagen in die Zukunft hätte sehen können. Dir wäre die Null nicht mehr so gleichgültig gewesen. Nein, gerade diese eigenartige Ruhe der Null hätte dir zu verstehen gegeben, dass sie so ist, weil sie immer alles im Voraus weiß.
IV.
Nun wirst du das Land Real sicherlich besser kennen und doch gibt es über Real noch viel zu erzählen. Aber das wichtigste ist eigentlich, wie das Geheimnis gelüftet wurde.
Welches Geheimnis fragst du? Die Sache mit den Kindern, na klar, das ist das Geheimnis von Real. Warum bekommen die Negativisten von Natur aus keine Kinder und die Positivisten gerade zwei?
Nach dem Warum fragten in Real überwiegend die Negativisten. Und so wurden große Schulen gebaut, um das Geheimnis der Kinder zu ergründen. Es gab viele Theorien. So wie beim Umdrehen eben auch. Eine Theorie ging davon aus, dass die Kinder in Real nur in einer Richtung geboren wurden. Und dies sei zufälligerweise die Richtung, in der die Positivisten wohnten. Die Chance bestand also 50 zu 50, ein Real mit genau umgekehrten Verhältnissen zu haben.
Diese Theorie war deshalb so interessant, weil sie zum ersten Mal die Zufälligkeit als Erklärung benutzte. Dies gefiel einigen Realisten überhaupt nicht, weil sie sagten, dass alles was ist, nach einer bestimmten Ordnung zu sein hat, die der Große Gleiche geschaffen hätte. Sie sagten: Der Große Gleiche würfelt nicht eine Ordnung aus, sondern erschafft sie aus guten Gründen, die wir Realisten allerdings nicht wissen können.
Eigentlich lehnten die Gegner der Zufallstheorie diese ab, weil es danach überhaupt keinen letzten Grund für die Ordnung in Real gab. Und damit wäre auch der Große Gleiche für die Begründung der natürlichen Ordnung in Real überflüssig, weil dann letztendlich nicht mehr alles durch Ihn bestimmt wäre.
Deshalb ersannen sie die Drehtheorie. Sie behaupteten ganz einfach, dass die Wurzeln in Real, also die Kinder, immer durch eine ganz bestimmte Drehung, verursacht durch den Großen Gleichen, geboren würden. Diese Drehung konnte man bei der Geburt in Real aber niemals beobachten. Deshalb wurde sie auch die Drehung des Großen Gleichen genannt. Und die Geburt der Wurzeln diente nun umgekehrt dazu, dass sie daraus folgerten, dass der Große Gleiche sich immer in die Richtung der Positivisten dreht. Und da man den Großen Gleichen nicht sehen konnte, wäre seine Drehung auch unsichtbar. Und somit drehten sie sich in ihrer Begründung selbst im Kreis.
Pitor und Etor, selbst Positivisten, wandten sich mit aller Entschiedenheit gegen diese letzte Theorie, denn sie hatten erkannt, dass die Zufallstheorie viel besser zu der neuen demokratischen Gesellschaft in Real passte. Sie unterstellte nämlich, dass der Große Gleiche nicht die Realisten wie Marionetten tanzen ließ. Vielmehr hatte er die Realisten, als er sie erschuf, in seiner großen Weisheit als freie Wesen erschaffen, die selbst für ihre Ordnung verantwortlich waren. Deshalb würdigten sie auch in einem Schreiben an die Eins das Kindergrundrecht als den größten Schritt Reals in die Zukunft. Allerdings verstanden die meisten Realisten dies zu diesem Zeitpunkt nicht.
V.
Es geschah aber eines Tages, dass der Negativist Minusius seinen Freund, den Positivisten Posinus, besuchen wollte. Also machte er sich auf den Weg, und als er am Haus der Null vorbei kam, bemerkte er die weiße Farbe, die in der Morgensonne so weiß war, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. Da fragte er sich, warum das Haus der Null so wunderschön weiß sei. Das ist für einen Negativisten nichts Ungewöhnliches. Erstaunlich wäre eher eine Antwort auf die vielen, vielen Fragen gewesen, die sich ein Negativist tagtäglich stellte.
Eine Antwort wusste Minusius natürlich nicht. Aber das ist auch nicht so schlimm. Hauptsache ist, dass man weiß, wie man vielleicht eine Antwort bekommen kann, denn man muss ja nicht alle Fragen, die man sich stellt, auch beantworten können.
Und plötzlich hatte Minusius einen guten Einfall. Im Grunde war es eine ganz einfache Idee, die du bestimmt in einer solchen Situation auch gehabt hättest. Minusius dachte ganz einfach daran, die Null danach zu fragen.
Doch schon zweifelte er wieder. Er kannte die Null doch gar nicht. Wie würde sie auf seine Frage reagieren. Vielleicht würde sie ihn als Nichtsnutz beschimpfen, der dumme Fragen stellt, und zum Teufel jagen. Minusius kannte solche Situationen nur zu Genüge. Oft genug war seinen Eltern der Kragen geplatzt, wenn er unaufhörlich Fragen stellte.
Doch dann fasste er Mut. Fragen kostet schließlich nichts und schadet auch keinem, dachte er sich und schon hatte er an der Haustür der Null die Türglocke betätigt.
Aber... Es geschah nichts. War die Null nicht im Haus? Gerade spazieren oder zum Einkaufen unterwegs? Oder schläft sie gar noch? All diese Fragen schossen Minusius in Sekundenbruchteilen durch seinen Kopf. Er versuchte es ein zweites Mal. Dingdong machte die Türglocke, aber weiter geschah nichts. Was sollte Minusius nun tun? Er beschloss kurzerhand, nochmals zu klingeln und, wenn sich wieder nichts tun würde, zu gehen.
Dingdong machte es zum dritten Mal und, siehe da, die Tür öffnete sich und die Null wünschte Minusius eine guten Tag.
„Entschuldige, Minusius, dass es so lange gedauert hat, aber ich habe gerade ein Nickerchen gehalten. Sag, was treibt dich zu mir?“ begrüßte die Null Minusius.
Minusius kam aus dem Staunen nicht heraus. Woher wusste die Null seinen Namen? Sie konnte ihn doch gar nicht kennen. Aber das wollte er sie jetzt nicht fragen, weil er sich daran erinnerte, warum er die Null aufgesucht hatte.
“Als ich an deinem Haus vorbeiging,“ antwortete Minusius, „um meinen Freund Posinus zu besuchen, bemerkte ich plötzlich die helle weiße Farbe an deinem Haus. Ein so helles Weiß gibt es in Real bestimmt nicht ein zweites Mal. Deshalb fragte ich mich, warum dass so sei. Da ich aber keine Antwort wusste, beschloss ich, dich danach zu fragen.“
Die Null sah Minusius lange in die Augen, und als Minusius das bemerkte, wurde er unsicher. „Was hast du?“ stotterte er aufgeregt, als ob jeden Moment etwas Unheimliches passieren könnte.
“Ach, gar nichts, gar nichts!“ antwortete die Null im ruhigen Ton, um Minusius zu beruhigen. „Ich habe nur nachgedacht, wie ich es dir am besten erklären könnte. Es ist gar nicht so einfach, weil ich glaube, dass du noch viel mehr Fragen hast. Aber ich will es versuchen. Komm erst einmal rein und setze dich in irgendeinen Sessel, gerade den, der dir am besten gefällt.“
Und als Minusius in einem alten Ohrensessel, der viel zu groß für ihn war, Platz genommen hatte, da bekam er von der Null eine heiße Tasse Kakao und ein knuspriges Stückchen Streuselkuchen serviert, ganz als ob sie geahnt hätte, dass Kakao sein Lieblingsgetränk und Streuselkuchen sein Lieblingskuchen war.
Da ahnte Minusius, dass die Null ihm bald etwas zeigen würde, das all seine Fragen mit einem Schlag beantworten würde und er wurde ruhiger, weil der Kakao und der Streuselkuchen ihm so besonders gut schmeckten. Dennoch war er aufgeregt, weil er nicht wusste, was weiter mit ihm geschehen würde.
“Nun, es ist nicht leicht, deine Frage zu beantworten, lieber Minusius, aber ich will es trotzdem versuchen.“ sagte die Null und nippte dabei an einer Tasse Kaffee. „Du darfst dich aber nicht erschrecken, denn wenn ich dreimal in die Hände klatsche, wird mit dir etwas geschehen, was du zuerst nicht verstehen wirst. Doch du brauchst keine Angst zu haben, denn du wirst keinen Schaden nehmen. Es wird dich aber zuerst sehr verwirren, was du sehen wirst. Du musst nur genau hinsehen und dann wirst du wissen, warum mein Haus so weiß ist und noch vieles, vieles mehr. Nichts wird für dich ein Geheimnis mehr sein. So, bist du bereit?“
Und ob Minusius bereit war! Er war gespannt wie ein Flitzebogen. Alle seine Wünsche würden heute in Erfüllung gehen, es würde für ihn keine Geheimnisse mehr geben. Das ewige Fragen würde ein Ende haben und nichts würde ihm mehr fremd bleiben. Ihm, Minusius, dem mutigen Negativisten, der als erster Realist gewagt hatte, die Null zu befragen.
Die Null klatschte einmal in die Hände. Minusius merkte, wie es dunkler um ihn herum wurde. Die Null klatschte zum zweiten Mal in die Hände. Minusius merkte, wie es immer stiller um ihn herum wurde. Die Null klatschte zum dritten Mal in die Hände. Minusius konnte nichts mehr fühlen und riechen. Selbst der herrliche Geschmack des Kakaos und des Streuselkuchens war nicht mehr zu spüren. Er war in einem Zustand, in dem er überhaupt nichts mehr wahrnehmen konnte. Es war die große Leere.
Was dann mit Minusius geschah, kann ich dir gar nicht richtig erzählen. Es ist so ungeheuerlich, dass mir die Worte dazu fehlen, alles so wiederzugeben, wie Minusius es empfunden hatte. Trotzdem will ich es versuchen:
Nach der großen Leere nahm Minusius wahr, wie er sich plötzlich im Kreis drehte. Er wurde immer schneller herumgewirbelt, und je schneller er sich drehte, umso schwerer wurde er. Er wurde so schwer, als wären Bleigewichte an ihm befestigt. Er bekam Angst. Denn plötzlich war es ihm, als würde er in die Tiefe gezogen. Wie bei einem Wasserstrudel, der umso tiefer ist, je schneller er sich dreht.
Da war ihm angst und bange. Doch weil ihm die Null versprochen hatte, dass er keinen Schaden nehmen würde, hielt er die Schmerzen aus, die er bekam, weil er immer schwerer wurde. Er glaubte gar, sein ganzer Körper würde zerrissen.
Mit einem hörte er aus der Ferne ein Summen, das immer näher kam und lauter wurde, schließlich an ihm vorbei zog und in der Ferne verschwand. Und dann begann es von neuem. Es war schneller und lauter als beim ersten Mal. Wie ein Flugzeug, das ganz dicht über seinem Kopf vorüber flog. Und wieder und wieder war ein Geräusch zu hören und schneller und schneller sauste es an ihm vorbei. Seine Ohren begannen zu dröhnen. Minusius hielt sich die Ohren zu, aber es half ihm nicht. (kein Absatz) Der Boden unter ihm begann zu beben. Das Beben wurde immer stärker, das Dröhnen immer lauter, und er wurde immer schneller herum gewirbelt, so dass er seine Hände in die Sessellehnen krallte, damit er nicht herausgeschleudert wurde. (Kein Absatz) Seine Muskeln verkrampften sich, sein Kopf fiel zurück. Pfffmt, pfffmt, Lichtblitze zuckten. Pffmt, Pffmt, es wurden immer mehr. Und als er glaubte, die Ohren würden ihm schier zerplatzen, sein Körper würde zerrissen, da war alles vorbei, nur im Hintergrund war ein eintöniges mmmmmmmmmmm zu hören.
Alles war still um Minusius geworden. Er konnte sich wieder aus seiner Verkrampfung lösen. Nun spürte er auch, wie er immer leichter wurde; wie eine Feder hätte er beim leichtesten Windhauch davonfliegen können. Seinen Kopf konnte er in alle Richtungen bewegen. (kein Absatz) Dabei trat kein Schwindelgefühl auf, wie es in Real der Fall war, wenn man sich umschaute.
Und was sah Minusius, als seine Augen wieder sehen konnten? Es gab nicht nur eine Richtung, sondern unendlich viele. In jeder Richtung, in die er blickte, sah er ein Land, das genauso aussah wie Real. Und wenn Minusius seinen Kopf nur ganz leicht drehte, verschwand das eine Real und ein neues Real tauchte vor seinen Augen auf. Schnurgerade Reals. So viele, wie er nur haben wollte. Eines so schnurgerade wie das andere.
Dann spürte er, wie eine Hand über seine Augen strich und es geschah etwas Wunderbares mit ihm. Er sah jetzt gleichzeitig alle Länder, ohne seine Kopf drehen zu müssen. Minusius konnte es gar nicht fassen. Er sah zum ersten Mal in seinem Leben eine Ebene vor sich. In jedem Punkt der Ebene sah er einen Bewohner aus einem der vielen Länder Real.
Auf einmal sah er auch seinen Freund Posinus, der mit einem Nachbarn Fußball spielte. Und das? Was war das? Auch die Negativisten bekamen also Kinder. Unglaublich! Aber warum sahen die Negativisten ihre Kinder nicht? Direkt nach der Geburt wanderten die Kinder der Negativisten in ein anderes Real aus, das sozusagen genau senkrecht auf dem Land Real stand, in dem Minusius lebte.
Die Negativisten bekommen also doch Kinder, stellte Minusius fest. Aber wer wird mir das glauben? Minusius dachte eine Weile angestrengt über eine Lösung nach.
Danach sah er sich noch lange in dem neuen Land um, das noch kein Realist vor ihm gesehen hatte und in dessen Mittelpunkt das Haus der Null stand. Es stand da wie ein Leuchtturm, der den Bewohnern dieses Landes als Orientierung diente, um vom einem Real ins andere zu gelangen.
„Nun, was hast du gesehen?“ fragte die Null da den Minusius, der gar nichts antworten konnte, weil er von den Eindrücken ganz benommen war. „Wie heißt das Land, in dem ich war?“ fragte er zurück. „Wir nennen es Komplexia!“, antwortete die Null mit ruhiger Stimme. „Und da du es nun gesehen hast, weiß du, in welchem Land du wirklich lebst! Du musst eines wissen,“ begann sie erneut nach einer längeren Pause: „Komplexia ist ein Land, in dem es nicht nur ein Vorwärts und Rückwärts, sondern auch ein Seitwärts, ja, jede Richtung gibt, die du dir vorstellen kannst. Im Leben gibt es auch nicht nur ein Ja oder Nein. Dazwischen liegt ein Vielleicht, ein Ja aber, ein Möglicherweise und vieles andere mehr. Und genau so ist Komplexia. So vielfältig wie das Leben und doch so wahr. Aber du darfst in keinem Fall erzählen, dass du das alles von mir erfahren hast. Versprichst du mir das?“
Als Minusius das hörte, verstand er es sofort und versprach der Null, keinem Realisten jemals zu erzählen, woher er das alles wusste.
So erzählte Minusius nur, in welchem Land die Realisten wirklich lebten und wie wunderwunderschön dies sei. Doch als die Realisten ihn ausfragten, woher er sein Wissen habe, schwieg er wie ein Grab.
Da waren die Realisten Minusius böse und stellten ihn vor ein Gericht. Sie befürchteten, dass die Realisten durch seine Erzählung den Glauben an den Großen Gleichen verlieren könnten. Minusius wurde verurteilt, sein ganzes Leben lang sein Haus nicht mehr zu verlassen. Man nannte das in Real Hausarrest.
Die Richter begründeten ihr Urteil damit, dass Minusius durch seine absurden Ideen verführerisch auf die Jugend wirke und Real nur in Unordnung stürzen wolle, um anschließend die Macht an sich zu reißen – wie bei der Okkupation. Solches könne man in keinem Fall zulassen, weil die Freiheit und der Große Gleiche das höchste Gut in Real seien, dass es in jedem Fall zu schützen gelte.
Das, was Minusius aber erzählte, bewegte einige wenige Realisten dennoch, und sie erzählten es ihren Kindern. Und so kennt man noch heute in Real die Geschichte von Minusius. Aber keiner glaubt so recht daran, weil jeder befürchtet, es könnte ihm wie Minusius ergehen.
Obwohl das, was Minusius gesagt hatte, wahr ist. So wahr ich Paul heiße.
Die Reise zum Planeten Exsulto
- Geschrieben von: Günter Opitz-Ohlsen
Hallo Kinder, jetzt wird es brenzlig. Das Triebwerk stottert und ich brauche neuen Treibstoff. Schnell auf die Sternenkarte schauen, welcher bewohnte Planet am nächsten ist. A1314! Davon habe ich noch nie gehört. Soll aber bewohnt sein. Die Bewohner dort nennen sich Ostentatisten. Seltsamer Name, aber an irgendetwas erinnert mich das! Wie nennen die Ostantisten ihren Planeten? Exsulto! Das geht gerade noch. In zwei Tagen bin ich da. Hoffentlich hält das Triebwerk.
„Sie werden auf unserer exklusive Landebahn 3r1 eingewiesen. Bitte folgen sie unseren Anweisungen. Landerlaubnis wurde erteilt. Bitte Bremstriebwerke einschalten!“ Die haben gut reden. Meine Bremstriebwerke müssen generalüberholt werden. Aber irgendwie werde ich das letzte Stück auch noch schaffen. Eine Bruchlandung wird es hoffentlich nicht werden, aber hart setze ich schon auf. Ruummmmms! Das war's! Ich habe es geschafft! Mein Raumschiff steht und ist nicht auseinander gefallen. Kinder, mir steht der Schweiß auf der Stirn, aber froh bin ich, dass ich hier heil gelandet bin.
Fragt mich nicht, Kinder, wie hier die Einreiseformalitäten sind. Ich war einmal auf einem Planeten, da musste ich mich ganz ausziehen. Die hatten furchtbare Angst vor Fremden. Alles haben sie untersucht. Vom Kopf bis zu den Füßen. Das war vielleicht eine Prozedur. Aber da fliege ich nicht mehr hin. Die Bewohner waren unfreundlich und liefen alle in schwarzen Anzügen herum.
„Herzlich willkommen auf Exsulto, dem schönsten Planeten im Universum.“ Na, wenigstens ist die Begrüßung freundlich und mein Übersetzer funktioniert noch. Das mit dem schönsten Planeten scheint mir aber etwas übertrieben. Hoffentlich muss ich keine Einreisegebühr bezahlen. Ich habe nur noch 500 Unis in meiner Tasche. Unis, das ist die Währung im Universum. Die haben wir jetzt auch auf der Erde, seitdem die Erde dem Universum beigetreten ist. Das vereinfacht die Sache ungemein, Kinder! Früher mussten man immer Geld wechseln und Wechselgebühren bezahlen. Wenn man wie ich im ganzen Universum unterwegs ist, ist man allein vom Umwechseln des Geldes arm geworden.
„Ihren Pass bitte!“ sagt mir der Ostentatist, der hinter einem Schalter steht. Wenn ich hier ungeschoren durchkomme, dann bin ich erleichtert. Jedenfalls sind sie hier freundlich. Hab ich schon einmal gesagt, oder? Aber ich bin anderes gewohnt, Kinder, und dann wundert man sich schon über soviel Freundlichkeit. Oder haben die vielleicht etwas anderes im Sinn?
„Einen wunderschönen Aufenthalt auf dem schönsten Planeten des Universums!“ Wie – das war alles? Keine Einreisegebühr, keine Sicherheitsüberprüfung. Na, die müssen hier im Paradies leben. Aber irgendeinen Haken gibt es bei jeder Sache, Kinder, das habe ich auf all meinen Reisen durch das Universum gelernt. Also ist auch hier Vorsicht geboten und kein Leichtsinn. Schließlich muss ich jemanden finden, der mir die Triebwerke repariert. Ich will doch bald zurück zur Erde. Und wie die Sache momentan aussieht, steht es schlecht um mich.
Überall haben sie auf diesem Planeten Werkstätten. Eine ist besser als die andere. Ich gehe gleich mal hier rein. Der muss alle möglichen Triebwerke repariert haben, weil er all die Glücklichen in ihren Raumschiffen fotografiert hat, denen er half. „Ich kann alles reparieren. Mein Spezialgebiet sind Triebwerke. Hier sind sie goldrichtig. Ich habe schon den Abbanen geholfen und vor allem den Itatisten. Die haben eine sehr komplizierte Technik, das kann ich ihnen aber laut sagen. Für mich allerdings kein Problem. Die haben mich vielleicht mit großen Augen angeguckt, als ich denen ihr repariertes Triebwerk vorgeführt habe. Ich habe es sogar noch ein wenig getunt. Aber nicht weiter sagen! Und sie, mein Herr? Sicherlich auch Probleme mit dem Triebwerk, oder?“
Hier bin ich richtig. Der scheint ja ein Meister seines Faches zu sein. Dem kann ich getrost mein Stotterschiff anvertrauen. Dann sehe ich mich hier auf dem Planeten noch ein wenig um und morgen kann ich schon wieder los. „Genau! Landebahn 3r1, da steht mein Schiff. Die Triebwerke stottern und Treibstoff bräuchte ich auch.“ „Kein Problem, mein Herr! Ich benötige ihre Schiffspapiere, sie wissen schon!“ Ich gebe ihm die Schiffspapiere und frage noch, wann ich wieder kommen solle. „Wann sie wieder kommen sollen? Das ist doch keine Frage. Glauben Sie, ich hätte keine Ahnung. Ich bin der Beste. Sie hören von mir!“ Was ist mit dem denn los. Raunzt der mich an als hätte ich ihm etwas getan. Kinder, ich frage erst gar nicht. Morgen muss der fertig sein. Sonst kriegt der was von mir zu hören.
Habe mir ein Raumtaxi gemietet. Hat nur 10 Unis gekostet für einen Tag. Das ist vergleichsweise billig. Der schönste Wald des Universums, der schönste See des Universums, der schönste Planet des Universums. Wo bin ich denn hier hin geraten. Machen die gerade eine Werbekampagne für den Tourismus. Schön ist die Landschaft ohne Zweifel. Aber ob es das Schönste im Universum ist, das finde ich dann doch ziemlich übertrieben. Habe ich wohl auch schon einmal gesagt, oder?
Ihr ahnt schon, wo ich übernachtet habe. Ja, genau, im schönsten Hotel des Universums. Dabei war das Zimmer auch nichts Besonderes. Guter Durchschnitt eben. Die ruhigste Nacht habe ich nicht gehabt. Die leisesten Raumschiffe gibt es hier nicht, eher die Lautesten. Und das beste Frühstück des Universums entpuppte sich als Spiegelei mit Speck. Warum übertreiben die hier nur immer? Gehört das etwa zum Wesen der Bewohner dieses Planeten. Ich bin ein wenig ungehalten. Wenn das so ist, dann muss ich eben nicht enttäuscht sein, wenn meine Triebwerke dann doch nicht laufen wie geschmiert.
Da ist mein schönes Raumschiff. Das schönste Raumschiff … ihr wisst schon, Kinder. Jedenfalls hat sich äußerlich nichts geändert. Der Mechaniker drückt mir die Schiffspapiere in die Hand und verlangt 440 Unis für die Reparatur. Ein stolzer Preis. Tja! Es sind eben die teuersten Mechaniker des Universums. Ich drücke ihm das Geld in die Hand. 50 Unis habe ich noch. Reicht jedenfalls für eine Zwischenlandung. Endlich bin ich wieder im Kommandosessel. Ich lasse die Triebwerke an. Ach, klingt das schööööön. Läuft rund und stottert nicht. Damit komme ich bestimmt zur Erde. „Wir wünschen eine angenehme Reise und empfehlen sie uns weiter. Der schönste Planet im Universum verabschiedet sie.“ Na, diese Musik hätten sie sich sparen können.
Bald bin ich wieder lautlos im Weltraum. Eigentlich bin ich froh, endlich von hier weg zu sein. Denke schon, ich wäre der schönste Erdenmensch im Universum. Irgendwie färbt dieses Getue doch ab, Kinder.
Der Planet ist eine kleine runde Kugel. Jetzt schalte ich mal den Turbo ein. Treibstoff habe ich schließlich genug. Nein, dieses Stottern. Da ist es wieder und noch lauter als zuvor! Ich glaube es nicht! Reklamation! Nein, das tue ich mir nicht noch einmal an. Alles nur Angeber auf dem Planeten. Heiße Luft und nichts dahinter. Schnell weiter gerade aus. Rücksturz zur Erde und in den Tiefschlaf gehen. Da werde ich diesen Planeten hoffentlich schnell vergessen. Tschüs Kinder, Gute Nacht!
© GOO, Juli 2012
Die Entdeckung des Bürzelbären
- Geschrieben von: Günter Opitz-Ohlsen
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Ich habe extra Platz gelassen, damit du all das, was du über Hamburg erfahren hast, hier hinschreiben kannst. Vielleicht machst du dir nur Stichwörter, wie viele Einwohner zum Beispiel Hamburg hat. Oder wo Hamburg liegt, oder ob Hamburg einen Hafen hat. Was, das weißt du schon?! Das ist es ja, was ich dir eigentlich sagen wollte. Denn nach Sunamien kommt man nur mit dem Schiff. Nicht mit jedem Schiff. Es muss ein ganz besonderes Schiff sein. Ein Schiff, das dort auch hinfährt. Aber hier gibt es ein kleines Problem. Denn Sunamien ist eine so kleine Insel im Pazifik, dass es auf keiner Karte verzeichnet ist. Woher soll man wissen, wie man dahin kommt? Diese Frage kann dir nur ein Kapitän beantworten, der aus Sumanien kommt oder schon einmal dort hingefahren ist. Und solche Kapitäne gibt es eben in Deutschland nur in Hamburg. Jetzt weißt du auch, warum ich nicht in Bremen oder Kiel oder Wismar war. Wie, du kennst diese Städte nicht? Dann mach doch das, was ich dir oben schon gesagt habe. Ich lasse dir wieder Platz dafür, deine Notizen festzuhalten.
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Warum wollte ich nochmal nach Sumanien? Natürlich wollte ich den Bürzelbär sehen, der dort lebt und nur dort. Der Bürzelbär ist ein sehr scheues Tier. Nur wenn man sehr geduldig ist, kann man ihn sehen. Deshalb habe ich meinen Fotoapparat mitgenommen, um Aufnahmen zu machen. Bis jetzt gab es noch keine Fotos oder Zeichnungen von ihm. Ich war sehr aufgeregt, als ich an Bord ging. Der Kapitän war sehr freundlich zu mir. Er zeigte mir meine Kajüte. Dort schlief ich und konnte mich auch tagsüber aufhalten. Die Überfahrt war sehr stürmisch und ich war richtig froh, als das Schiff endlich vor Sunamien vor Anker ging.
Jetzt also war meine Stunde gekommen. Ich packte meinen Rucksack und ging an Land. Ich war ganz allein, als ich mich vom Kapitän verabschiedete, der mich erst in einem Monat wieder abholen sollte. Die Insel ist nicht groß, aber überall dicht bewaldet. Meterhohe Bäume stehen am Strand, und die Stämme sind so dick wie ein Auto lang ist. Ich habe sofort Fotos gemacht. Es war gerade Frühling geworden. Dann ist die Chance, einen Bürzelbär in freier Wildbahn zu sehen, am größten, weil die Bären über den Winter einen langen Schlaf halten und erst im März wieder aufwachen. Sie kommen aus ihren Verstecken hervor und suchen sich Nahrung. Sie haben den ganzen Winter über nichts gegessen, nur geschlafen und du kannst dir bestimmt vorstellen, wie hungrig die Bären jetzt sind.
Deshalb dürfen sie beim Fressen auch nicht gestört werden. Alles muss sehr vorsichtig geschehen und sehen sollten sie dich auch nicht, weil sie sonst Angst bekommen und auf dich losgehen. Denn Bürzelbären sind sehr groß. So groß wie ein Pferd vielleicht, und sie haben eine besonders große Nase. Die Bärenfrau ist braun und der Bärenmann ist weiß, und beide haben einen Bürzel am Hintern. Aber den eigentlichen Bürzel haben nur die Bärenmänner. Die Bärenfrauen haben ein Pfftloch. Und wenn sich die beiden Bären gut leiden können, dann verbinden sie sich und feiern Bürzelhochzeit.
Wenn Bürzelbären sich mögen, dann bleiben sie ein ganzes Leben zusammen. Das ist so wie bei den Raben. Die Bürzelbärfrau hat oben auf ihrem Kopf eine Mulde. Dort trägt sie ihr Bürzelbaby. Die Bürzelbabys sind so klein, wenn sie auf die Welt kommen, dass sie prima in die Mulde auf dem Kopf passen. Und wenn sie größer sind, dann schauen sie aus der Mulde heraus und lernen so die Welt von oben kennen. Fast wie beim Känguruh die Kängababies gleich in den Beutel hinein wachsen.
Ich hatte mich unter einem Baum versteckt. Warten, warten, immerzu warten ist langweilig, wenn kein Bürzelbär in Sichtweite ist. Also hatte ich mich auf den Rücken gelegt und betrachtete durch die Zweige den Himmel. Musst du auch einmal machen. Das ist ganz spannend. Von einer großen weißen Wolke lösten sich kleinere Wolken ab. Die erste sah aus wie eine Tänzerin, die sich im Kreis dreht. Danach löste sie sich auf. Dann hatte sich aber schon die nächste kleiner Wolke von der großen weißen Wolke gelöst. Sie sah diesmal aus wie ein Läufer, der am Rand der großen Wolke entlang lief, als wollte er die Tänzerin einholen. Dabei machte er einen großen Schritt, der war so groß, als ob er springen wollte. Aber auch der Läufer löste sich bald im blauen Himmel auf. Und dann sah ich eine Wolke, die aussah wie ein Bürzelbär. Wirklich, sie sah genau so aus, wie ich mir den Bürzelbär vorgestellt hatte. Und dann hörte ich ein „büüürzel, bürzel, bürzel, büüüürzel“. Ich sah auf und da sah ich wirklich einen großen weißen Bürzelbär auf einer Wiese stehen. Daneben stand seine Frau und die trug sogar ihr Baby auf dem Kopf. Es war schon ein wenig größer und schaute von oben auf die Wiese. Ich nahm sofort meinen Fotoapparat heraus und machte sehr viele Bilder. Die Bürzelbären hatten mich noch nicht entdeckt, sonst wären sie bestimmt weggelaufen.
Dies war gewiss der schönste Tag in meinem bisherigen Leben. Endlich hatte ich die Bürzelbären gesehen und fotografiert. Besser konnte der Tag nicht sein. Später sah ich noch weitere Bürzelbären auf der Wiese grasen. Bürzelbären sind Vegetarier, sie essen kein Fleisch. Sie greifen auch keine Menschen an, wie ich zuerst dachte, sondern sind ganz friedvolle Lebewesen, obwohl sie so stark sind, dass sie ganze Bäume entwurzeln könnten. Deshalb greift sie auch kein anderes Lebewesen an, weil sie vor der Kraft des Bürzelbären Angst haben. Viel wichtiger aber war meine Entdeckung, dass ich mit den Bürzelbären sprechen konnte. „Büüürzel, bürzel, bürzel, büüüürzel“ heißt nämlich so viel wie „guten Tag, wie geht es dir“. Eigentlich geben die Bürzelbären nur ein langezogenes „Büüüürzel“ von sich oder aber kurzes „Bürzel“. Deshalb besteht ihre Sprache nur aus langen und kurzen „Bürzels“. Als ich ein Kind war, da habe ich das Morsealphabet gelernt, das auch nur aus langen und kurzen Tönen bestand. So war das eben bei den Bürzelbären auch. Geht es dir gut, dann musst du „bürzel, bürzel, büüüüürzel“ antworten und wenn es dir schlecht geht, so sagst du dreimal schnell hintereinander "bürzel!“. Einfach, oder nicht?
So konnte ich mich immer besser mit den Bürzelbären verstehen und habe dann den Rest der Zeit bei ihnen verbracht. Ich konnte mit ihnen leben, weil sie mich nicht fürchteten und ich mit ihnen sprechen konnte.
Wenn du traurig bist, dann kannst du auch ein lang gezogenes „büüüürzel“ sagen. Aber nur eins. Dann kommt der Bürzelbär zu dir und kuschelt mit dir, damit du getröstet wirst und es dir bald besser geht. Wenn du froh bist, dann sagst du dreimal ein langgezogene „Büüüürzels“ und der Bürzelbär will mit dir spielen. Wenn du Angst hast, dann sagst du ganz schnell fünfmal hintereinander ein kurzes „Bürzel“ und der Bürzelbär wird zu dir kommen und dich beschützen. Denn die Bürzelbären haben auch Gefühle wie wir Menschen. Aber das weißt du sicherlich, weil du vielleicht ein Haustier hast – oder einen Teddy.
Dann kam die Zeit des Abschieds. Ich winkte den Bürzelbären zu, und die haben das sogar verstanden. Sie sahen alle zu mir und bürzelten los, dass es eine Freude war. Komm bald wieder, haben sie gebürzelt und: Vergiss uns nicht! Wie sollte ich auch. Der Kapitän lud mich auf sein Schiff samt meiner Ausrüstung, und das Schiff stach in See. Vierzehn Tage dauerte die Rückreise. Wir kamen in einen heftigen Sturm und dabei habe ich meinen Fotoapparat verloren, weil ich die hohen Wellen fotografieren wollte. Alles war weg! Die ganzen Bilder von den Bürzelbären. Weg für immer. Aber ich hatte sie noch in meinem Kopf. Und das war gut so, weil ich zu Hause angekommen in meiner Werkstatt die Bürzelbären aus Speckstein nachgebildet habe. Ich zeig sie dir einmal. Dann kannst du auch einen nachmachen oder besser eine ganze Familie? Jedenfalls werde ich wieder nach Sunamien fahren und diesmal werde ich besser auf meinen Fotoapparat aufpassen.
© GOO, April 2012
Das Schachbrett
- Geschrieben von: Günter Opitz-Ohlsen
Hallo Kinder! Kennt ihr schon die Geschichte vom Schachbrett? Nein, ich meine nicht die vom Erfinder des Schachspiels und den Reiskörnern! Die kennt doch jeder. Nein, die Geschichte von Amir, der das schönste Schachbrett machte, das man sich überhaupt denken kann.
Amir ist Schreiner und lebt in einer sehr alten Stadt. Viel älter als New York, viel, viel älter als London oder Paris, ja sogar viel älter als Rom und Athen, von Peking und Tokio ganz zu schweigen. Er lebt in Damaskus und das liegt in Syrien und ist die älteste Stadt, die es auf der Erde gibt. Ja, vielleicht gibt es auf anderen Planeten noch ältere Städte. Das kann sein, aber hier auf der Erde ist Damaskus die älteste Stadt.
Es ist gar nicht so weit nach dorthin. Vielleicht zwei Stunden mit dem Flugzeug und schon bist du da. Damaskus liegt in Syrien und ist sehr berühmt für seine Handwerker. Die haben nämlich ihr Handwerk von ihren Vätern gelernt, und die wiederum von ihren Vätern und so fort. Und weil Damaskus die älteste Stadt ist, gibt es dort auch die versiertesten Handwerker, denn sie haben das Wissen von Generationen in ihrem Kopf.
Amir macht am liebsten Schränke, Tische und Stühle. Aber nicht etwa solche, wie sie heute in Möbelgeschäften zu kaufen sind. Nein, alles ist mit der Hand gemacht. Und das Holz wird vorher von Amir ausgesucht, bevor er es weiter verarbeitet. Er muss es fühlen und riechen und manchmal will er auch das Holz schmecken. Erst dann weiß er, wofür er es gebrauchen kann. Ist es das Holz für Bettler oder das für Könige? Amir weiß es. Und Amir kennt auch Hölzer, die nicht in Syrien wachsen. Das Holz der Japanischen Kirsche, Buchenholz oder Tannenholz, und er ist ein wahrer Fachmann, was das Zedernholz betrifft. Damit arbeitet er am liebsten, weil er alles über die Zeder von seinem Vater gelernt hat.
Das Besondere an Amirs Arbeit aber ist, dass er wie ein Maler Bilder aus Holz macht. Dazu hat er eine Holzplatte und verklebt darauf kleine Holzstücke aus anderen Hölzern. Das kannst du vielleicht auch einmal probieren. Denn die Hölzer haben unterschiedliche Farben, und so kannst du ein Gesicht aus Holz malen. Genau das macht Amir. Die meisten seiner Intarsien, so nennt man die Bilder aus Holz, sind Ornamente. Dazu hat Amir ein großes Buch, das er ebenfalls von seinem Vater geerbt hat. Tausende Ornamente findest du da.
Wenn ein Kunde zu ihm kommt und einen Schrank haben will, dann zeigt Amir ihm das Buch, und der wählt ein Ornament aus, das ihm ganz besonders gefällt. Dann weiß Amir schon, welche Hölzer er verwenden muss.
Eines Tages kommt eine Frau zu ihm. Sie will einen Stuhl für ihren Großvater machen lassen. Er soll besonders bequem und schön sein. Dann mach ich ihm einen Stuhl nach Maß, sagt Amir und schaute der Frau in ihre dunklen Augen. Sie hat so wunderschöne Augen. Und das Meer ist so ruhig und die Augen von Asmaa, so heißt die Frau, lachen mich an. Und wir gehen Hand in Hand am Strand entlang und umarmen uns und streicheln uns und küssen uns und springen danach beide ins Meer und schwimmen. Hallo, soll ich später wieder kommen? Passt es ihnen jetzt nicht?, fragt Asmaa, denn sie weiß nicht, dass Amir gerade geträumt hat. Nein!, entgegnet Amir, denn er will Asmaa wiedersehen. Bringen sie doch ihren Großvater das nächste Mal mit. Sie können sich jetzt schon einmal ein paar Ornamente anschauen! Amir reicht Asmaa das große Buch. Da sitzt sie, wie eine Königin sieht sie aus. Welche schmalen und weichen Hände sie hat. Und ihre schwarzen Haare so seidig und glänzend!
Amir träumt den ganzen Tag von Asmaa und will ihr ein ganz besonderes Geschenk machen. Da kommt ihm die Idee mit dem Schachbrett. Er setzt sich noch in der Nacht in seine Werkstatt und zeichnet die 64 Felder auf und die Ornamente, die jedes Feld bekommen soll. Es soll ein wunderschönes Schachbrett werden. Auf der Rückseite will er ein Mühlespiel haben. Die dunklen Linien sollen aussehen wie Girlanden und Schlangen und in der Mitte will er das Gesicht von Asmaa zeichnen.
Als am nächsten Tag Asmaa mit ihrem Großvater wiederkommt und Amir Maß für den Stuhl des Großvaters nimmt, ist ihm klar, dass er das Schachbrett zusammen mit dem Stuhl fertig haben will. Es dauert 66 Tage, sagt Amir, dann ist der Stuhl fertig. Sie können ihn direkt bei mir abholen. Ich muss noch die Mahagonihölzer besorgen und die Lehne soll aus festem Zedernholz sein. Asmaa ist damit einverstanden.
Nun sitzt Amir Tag und Nacht an seiner Arbeit. Nichts darf ihn stören. Er schließt sein Geschäft und die Menschen fragen sich, was mit ihm los ist. Er ist krank, sagen manche. Aber er hat doch abends Licht in seiner Werkstatt, sagen die anderen. Der schläft bestimmt zwischen all dem Holz, der Holzkopf, sagen wiederum einige und andere wissen es besser: der Amir, der ist verliebt. Wer mag die Auserwählte bloß sein? Doch Amir schert das Geschwätz der Menschen wenig. Er ist wie versessen, das schönste Schachbrett zu erschaffen, das ganz Damaskus jemals gesehen hat. Für seine Geliebte, die schöne Asmaa, damit sie merkt, wie sehr er sie liebt.
Nach genau 66 Tagen erscheint Asmaa erneut in Amirs Werkstatt. Amir hat alles fertig und zeigt ihr stolz den Stuhl für den Großvater. Er ruht auf Kufen aus Holz, so dass der Großvater mit dem Stuhl schaukeln kann. Asmaa ist sehr erfreut, ihren Großvater den wunderschönen Stuhl zu schenken. Komm, hilf der Dame tragen, ruft Amir den Jungen herbei, der vor seiner Werkstatt Wasser verkauft. Und er nimmt den Jungen beiseite und spricht ganz leise zu ihm: Du nimmst das noch mit und lässt es dann heimlich neben dem Stuhl liegen. Kriegst auch etwas Extra dafür. So komm und lass dir nichts anmerken.
Der Junge trägt Stuhl und Schachbrett in Asmaas Haus. Er stellt das Schachbrett in den Flur. Asmaa sieht es gar nicht und wundert sich, als ihre Mutter ankommt und sie nach dem Schachbrett fragt. Das hat der Junge bestimmt hier liegen gelassen, sagt sie und will es schon zurückbringen. Nein, sagt die Mutter, bist du verrückt! Das ist bestimmt viel wert. Wir werden es auf dem Markt verkaufen! Von dem Geld können wir Großvaters Stuhl bezahlen und ich kaufe mir eine schöne Kette obendrein. Aber schau, sagt Asmaa, die das Schachbrett umgedreht hat. Sieht die Frau nicht aus wie ich? Ja, du hast recht. Eine Ähnlichkeit hat sie schon mit dir. Das macht das Brett nur noch wertvoller. Und die Mutter nimmt es und geht zum Markt.
Sie muss nicht lange warten, bis der erste Käufer vorbeikommt. Ein so schönes Schachbrett habe ich noch nie gesehen. Wie viel soll es kosten? 100.000 Pfund, das ist zu viel! 50.000 würde ich schon geben. Nein, wie kannst du nur … du machst mich arm, ich habe ja schon 60.000 dafür bezahlt. Ein Tourist, der den Handel beobachtet hat, bietet 75.000 Pfund. Da ist das Geschäft gemacht und das Schachbrett ist auf dem Weg nach Deutschland. Hier wohnt nämlich der Tourist. Er heißt Bernhard und hat in Damaskus Urlaub gemacht. Er stellt das Schachbrett in eine Vitrine, als er zu Hause in Berlin ankommt. Dort kann es jeder bewundern, der Bernhard besucht.
Abends, wenn Bernhard schläft, erwacht das Schachbrett. Die einzelnen Felder beginnen miteinander zu sprechen. Wo sind die Figuren, fragen sie. Wo ist Amir? Asmaa hat uns nicht geliebt. Sie hat uns verschmäht. Und jetzt sind wir weit weg von Amir, nur er kann uns wieder glücklich machen. Und das Mühlespiel auf der Rückseite des Schachbretts stimmt in das Klagelied mit ein.
Eines Tages hört Amir direkt neben seiner Werkstatt einen lauten Knall. Es ist eine Bombe, die explodiert ist. Die Menschen in Syrien sind zerstritten. Die einen wollen eine neue Regierung, die anderen wollen, das alles so bleibt wie es ist. Und Amir will weiter arbeiten. Er hat nie mehr etwas von Asmaa gehört. Und jetzt, wo der Krieg das Land zerstört, ist sie vielleicht auch gar nicht mehr in Damaskus. Amir muss sich überlegen, ob er nicht lieber weggeht, damit er nicht durch einen Schuss getötet wird. Er hat einen Bruder, der auch in Berlin lebt, so wie Bernhard. Zu ihm muss er gehen, denkt Amir, und packt das Nötigste ein, um seine Haut zu retten.
Amirs Bruder Hussein ist sehr froh, als sie sich in Berlin in die Arme fallen. Sie fahren sofort in Husseins Wohnung und Amir erzählt die Geschichte seiner unglücklichen Liebe zu Asmaa und die Geschichte von dem Schachbrett, an dem er 66 Tage lang gearbeitet hat. Du kannst doch hier in Berlin deine Schreinerwerkstatt aufmachen, sagt Hussein zu ihm. Unten in Parterre ist ein leer stehendes Ladenlokal. Da war früher ein Handyverkäufer drin. Und Amir schaut sich alles an. Er zögert nicht lange und fängt an, die schönsten Schränke, Stühle und Tische zu machen, die Berlin je gesehen hat.
Das spricht sich sehr schnell in der Stadt herum. Die Abendschau macht einen Bericht über Amir und so wird Amir in der ganzen Stadt bekannt. Jeder kommt zu ihm. Ein Stuhl soll repariert werden, Amir machte das. Und er schaut sich die Menschen genau an. Von den Armen nimmt er wenig und von den Reichen nimmt er viel. Eines Tages kommt Bernhard in seinen Laden und trägt ein Schachbrett unter seinem Arm.
Mir ist etwas Merkwürdiges passiert, sagt Bernhard. Als meine Freundin mich besuchte, habe ich ihr das Schachbrett gezeigt. Ich nahm es aus der Vitrine und da sprang es aus meinen Händen. Es fiel auf die Erde und hat jetzt hier an der Kante einen Riss. Kannst du das reparieren? Amir schaut sich das Schachbrett an. Er nimmt es in seine Hand und spürt, wie warm es ist. Das ist mein Schachbrett, ich habe es gemacht, sagt er mit leiser Stimme. Was? Bernhard kann es kaum glauben. Da erzählt Amir ihm die Geschichte. Dann gehört es dir!, sagt Bernhard und will es Amir schenken. Nein, du hast dafür bezahlt, ich werde es nur reparieren. Aber ich glaube, dass das Schachbrett eine Seele hat. Es hat uns zusammengeführt, wie zwei Dinge, die zueinander gehören, sagt Bernhard. Ich will auch Tischler werden, so wie du. Und er überredet Amir, ihm das Tischlerhandwerk beizubringen.
Bernhard wohnt in Amirs Werkstatt. Amir zeigt ihm alles, was er von seinem Vater gelernt hat. Bernhard wird immer versierter und macht sich sein eigenes Schachbrett. Das ist mein Gesellenstück, sagt er zu Amir, und Amir schaut sich Bernhards Schachbrett genau an. Er lobt es und kritisiert es auch ein bisschen, und Bernhard ist froh und dankbar, dass er so viel von Amir gelernt hat.
Amir hat inzwischen graue Haare bekommen. Er ist alt geworden. Bernhard ist mit seiner Familie in die Nähe der Werkstatt gezogen und ist glücklich mit sich, seiner Frau, seinen Kindern und seiner Arbeit. Amir, wach auf, sagt Bernhard eines Tages, als er die Werkstatt betritt. Doch Amir antwortet nicht. Er ist zwischen seinen Hölzern, den schönen Schränken und Stühlen einfach eingeschlafen. Bernhard weiß, dass er nicht mehr aufwachen wird. Der beste Freund, den Bernhard je hatte, ist gestorben. Bernhard beerdigt ihn auf dem Marienstädter Friedhof und das Schachbrett legt er mit in sein Grab.
Abends, wenn du an seinem Grab stehst, dann kannst du hören, wie die Dame zum König spricht, der Springer sich auf dem Weg macht und der Läufer Meldung erstattet. Vom Turm aus ist alles zu sehen. Und ich bin jetzt müde. Ihr nicht auch, Kinder? Ja, es ist Zeit zu schlafen. Gute Nacht!
Das Märchen von der ängstlichen Sonne
- Geschrieben von: Günter Opitz-Ohlsen
Ein langes, erstauntes und freudiges OOOhhh war zu hören, als Oskar wie jeden Morgen aufwachte und die Vorhänge am Fenster zurückzog, um die Morgensonne ins Zimmer zu lassen. An diesem Morgen waren die wunderschönsten Regenbogenfarben zu sehen.
Oskar freute sich über diesen Anblick und vergaß darüber all seine Sorgen. Vorbei war es mit der grauen Häuserfront direkt gegenüber. Der Schornstein des nahegelegenen Heizkraftwerkes erstrahlte in den schönsten Farben. Die Chemiefabrik mit den hässlichen roten Klinkerwänden sah nun aus wie ein Maharadschatempel. Ein entzücktes OOhh! hörte man etwa zur selben Zeit aus der Asylunterkunft, in der Asmaa lebte. Noch nie hatte sie in ihrem Leben einen so schönen Morgen erlebt. Vorbei war es mit der Angst vor denjenigen, die misstrauisch gegenüber jedem Fremden waren. Nicht nur Asmaa erlebte diesen zauberhaften Morgen, sondern alle Menschen, ja alle Menschen auf der Erde.
Und was wurde aus der Geschäftigkeit der Menschen? Aus den Vätern, die keine Zeit für ihre Kinder hatten, weil Wichtigeres zu tun war? Den Menschen, die jeden Morgen zur Arbeit und dann nach Hause zurück hetzten? Aus der Verkäuferin im Supermarkt, die nur noch Zeit für das Einräumen der Regale hatte? Aus der Kassiererin, die ständig die Preise einscannte und kassieren musste? Aus den Menschen, die in einer Schlange standen und ungeduldig warteten? All diese geplagten und gehetzten Menschen, die für alles Zeit haben mussten, nur für sich selbst nicht, sie wurden plötzlich ganz still. Vorbei war es mit der Hektik, denn die neue Sonne gab den Menschen die Zeit zurück.
OOhh! – Und dieses OOhh kann man als Mensch nur hören, wenn alles ganz still ist und man aufmerksam lauscht. Dann hört man das OOhh der Wälder, der Bäche, der Flüsse, der Tiere vielleicht, und wenn man noch aufmerksamer lauscht, dann hört man das OOhh des Windes, der Wolken und der Luft vielleicht, und wenn man so aufmerksam lauscht, wie man nur lauschen kann, dann hört man dieses OOhh, das nun zu hören war: das OOhh der Erde.
Wie viele OOhhs des Leids hatte die Erde den Menschen schon zu verstehen gegeben. Die Erde litt unter den Menschen, seit sie begannen, die Luft durch große Fabriken und immer schneller werdende Autos zu verpesten, das Wasser mit Chemikalien und Schwermetallen zu vergiften, Bomben zu bauen, die die gesamte Menschheit mehrmals töten konnte, Atomkraftwerke in die Welt zu setzen, die die ganze Erde mit ihrer radioaktiven Strahlung vernichten konnten. Kein Wunder, dass die Erde über die Menschen klagte. Aber hörten die Menschen auf sie? Doch dies OOhh, das nun zu hören war, war keineswegs ein Klagen über die Menschen. Es war das OOhh des Erstaunens, der Freude und des Glücks über die neue Sonne, die die Atmosphäre der Erde in ein zauberhaftes Licht tauchte, so dass alle Sterne am Himmel mit in das OOhh der Erde einfielen.
Und was war der Grund für das alles? Na ja, du weißt es sicherlich schon, es war die neue Sonne, die am Himmel stand. Und wärst du auf der Erde gewesen, als das geschah, so hättest du zwei Sonnen am Himmel sehen können. Die alte, dir wohlbekannte Sonne, in die man nicht hineinschauen darf, ohne die Augen fast ganz zu schließen. Die alte Sonne, die du jeden Tag sehen kannst, wenn der Himmel nicht ganz mit grauen Regenwolken verdeckt ist. Die alte Sonne, die den schönen Regenbogen macht und an manchen Tagen am Abend den Himmel ganz rot erscheinen lässt, und wenn sie über dem Meer untergeht, immer größer und roter wird, bis sie im Meer verschwindet. Die alte Sonne, die an manchen Tagen die grauesten Häuser mit ihren Strahlen vergoldet und selbst die traurigste Stimmung vertreiben kann, wenn sie ihr Licht auf die Erde wirft.
Nein! Du hättest auch die neue Sonne gesehen. Mit ihren in allen Farben getauchten Strahlen ließ sie die Gegenstände wie in einem Kaleidoskop erscheinen. Als wollte sie mit der alten Sonne wetteifern. Als wollte sie den Menschen zu verstehen geben, dass sie nun eine neue schönere Sonne hätten und die alte Sonne ruhig in Rente schicken könnten. Aber das war nicht der Fall, sondern manche Menschen glaubten das nur. Alle waren überglücklich und erfreuten sich an der neuen Sonne.
Wirklich alle? Was war mit dem Mond? Blieb er nicht still wie immer? Als wüsste er schon alles? Als würde er die neue Sonne schon seit Urzeiten kennen?
"Was ist mit dir, Mond?" fragte die Erde. "Schläfst du noch? Nun aber aufgewacht! Schau dir mal die neue Sonne an und vor allen Dingen mich, wie wunderschön ich unter ihr aussehe. Aquamarinblau ist mein Himmel, schneeweiß sind meine Wolken, sattgrün meine Wälder und Wiesen und meine Steine glänzen in den allerschönsten Farben. Na! Was sagst du jetzt?" Doch der Mond ließ sich von der Erde nicht in seiner Ruhe stören. Schon gar nicht, wenn sie ihm so kam. "He Mond! Redest wohl nicht mehr mit mir? Bist wohl neidisch, weil du nicht so schön aussiehst wie ich?" fuhr die Erde fort, als sie keine Reaktion vom Mond bekam. "Red‘ keinen Unsinn" hörte man da den Mond zu Erde sagen. "Du weißt ja gar nicht, warum alles so wunderschön ist. Das liegt nämlich an der ängstlichen Sonne, die sich endlich dazu durchgerungen hat, zu scheinen. Das war ein hartes Stück Arbeit für das Universum. Aber jetzt ist ja alles wieder in Ordnung," sprach der Mond. Die Erde aber wurde immer neugieriger, die Geschichte von der ängstlichen Sonne zu hören. "Ängstliche Sonne? Noch nie davon gehört Mond. Was hat es damit auf sich? Komm erzähl schon die Geschichte!" flüsterte die Erde zum Mond. "Willst du sie wirklich hören? Ich bin zwar ziemlich müde von all dem, aber wenn du sie wirklich hören möchtest, ja, dann erzähl ich sie dir," erwiderte ihr der Mond.
"Es war vor langer Zeit, als die ängstliche Sonne zur Welt kam. Und sie war neugierig, alles kennenzulernen, wie jedes Kind. Und sie sagte zu ihrer Mutter: "Komm zeig mir alles, denn ich will wissen wie es funktioniert!". Aber die Mutter hatte nur wenig Zeit für ihr Kind. Immer musste sie andere Dinge tun. Drei Arbeitsstellen hatte sie und so hetzte sie den ganzen Tag von einem Planeten zum anderen. Deshalb beschloss die ängstliche Sonne, selbst alles zu erkunden. Von einem Stern zum anderen ließ sie sich vom Sternenwind tragen und fragte alle nach ihren Namen. Und die Sterne sagten ihr, wie sie hießen. So kannte sie nach kurzer Zeit alle Sterne am Himmel und konnte mit ihnen reden. Aber auch die Sterne waren zu dieser Zeit sehr beschäftigt. Viele hatten keine Zeit, mit der ängstlichen Sonne zu spielen.
Da suchte sich die ängstliche Sonne andere Sternenkinder und spielte mit ihnen. Und weil die ängstliche Sonne in dieser Zeit gar nicht ängstlich war, sondern aufgeschlossen und abenteuerlustig, ersann sie immer aufregendere Spiele und spielte dem ein oder anderen Sternenkind auch einmal einen Streich. Doch eines Tages, mitten im spannenden Versteckspiel, rief ein Sternenkind: "Mir fehlt ein Planet! Wer hat meinen Planeten gestohlen?" Da drehten sich alle Sternenkinder um und sahen die ängstliche Sonne an. "Das warst du!" war es da zu hören, "Du hast den Planeten geklaut!"
Doch die ängstliche Sonne hatte den kleinen Planeten nicht. "Nein!" schrie da die ängstliche Sonne und wollte sich hinter der Milchstraße verstecken. Doch dafür war es schon zu spät. "Du willst fortlaufen? Na warte!" schrien die Sternenkinder und fingen die ängstliche Sonne ein. "Jetzt stellen wir dich vor das Sternengericht." sangen sie. Auch du hättest dich sicherlich gefürchtet, so wie die ängstliche Sonne es nun tat. Und sie wurde verurteilt, zwei Tage lang Sternenstaub zu essen, der so abscheulich schmeckt wie Rosenkohl mit Graupensuppe. Die ängstliche Sonne wollte von nun an von den anderen nichts mehr wissen. Vorbei war es mit den Streichen und den Spielen.
Sie dachte darüber nach, ob das ganze Leben schon seit der Geburt vorherbestimmt sei. So wie ein Stein immer nach unten fällt, so sei es auch mit dem Leben, überlegte sie sich. Jeder nimmt von Geburt an einen Platz im Leben ein, so wie es die Sterne am Himmel tun. Nichts kann daran geändert werden.
Dann aber kamen ihr Zweifel. Vielleicht muss jeder seinen Platz im Leben suchen. Also ist nichts vorherbestimmt und jeder ist selbst für sich verantwortlich, was er aus seinem Leben macht. Als sie darüber grübelte, kam ihr plötzlich die Idee, das Funkelsternchen anzusprechen, denn mit dem hatte es immer prima spielen können. Sie verabredeten sich für den nächsten Tag. Als die ängstliche Sonne aber am nächsten Tag freudig auf das Funkelsternchen wartete, wurde sie sehr enttäuscht. Es kam einfach nicht! Und alle Sternchen, die an der Sonne vorbeiflitzen, hatten auf einmal keine Zeit mehr, mit ihr zu spielen. Alle ihre Spielgefährten hatten sie im Stich gelassen. Trau keinem, nur dir selbst, sagte die ängstliche Sonne da zu sich und blieb fortan zu Hause. Niemanden wollte sie mehr sehen, denn sie war sehr traurig.
Und als sie so ganz alleine zu Hause war, geschah etwas Seltsames mit der ängstlichen Sonne. Du wärst vielleicht wütend über die anderen gewesen und hättest es denen gesagt. Die ängstliche Sonne hingegen verkroch sich in ihrem Haus wie in einem Schneckenhaus. Auch als ein neu hinzugezogenes Sternchen vorbei kam und die ängstliche Sonne fragte, ob sie mit ihm Sternenräuber und Gendarm spielen wolle, antwortete sie: "Ich kann heute nicht. Ich fühle mich krank. Spiel ohne mich." Das war aber gelogen. In Wahrheit hatte die ängstliche Sonne ja Angst und glaubte, dass die Einladung zum Spielen gar nicht ehrlich gemeint war. Sie wollen mich wieder reinlegen, dachte sie. Also blieb sie lieber zu Hause.“
"Och ist das traurig" sagte die Erde zum Mond, der allmählich etwas müde geworden war. "Wie können die Sternchen auch nur so gemein sein und die ängstliche Sonne verdächtigen, den Planeten gestohlen zu haben. Aber sag, Mond, wer hat ihn denn nun gestohlen?" "Gar keiner!" erwiderte der Mond. "Der Planet hatte nur einen Ausflug gemacht und niemandem Bescheid gegeben. Nach zehn Tagen war er wieder an seinem Platz. Aber da war schon alles zu spät und kein Stern kam auf die Idee, sich bei der ängstlichen Sonne zu entschuldigen. Es war ihnen peinlich. Deshalb schickten sie auch das neue Sternchen bei der ängstlichen Sonne vorbei, um sie zum Planetenspiel einzuladen." "Ohhh! Das himmlische Planetenspiel. Mond: sollen wir es nicht noch einmal miteinander spielen?" frohlockte die Erde.
"Ich fürchte fast, dass wir dafür nun doch etwas zu alt sind. Außerdem ist es bald Zeit, mich am Himmel für die Menschen zu zeigen. Ich erzähl dir die Geschichte morgen weiter." Und als der Mond das gesagt hatte, wurde es für einen Teil der Menschen Nacht auf der Erde und sie konnten den wunderschönen Mond sehen, der von nun an von zwei Sonnen erleuchtet wurde. Die Menschen auf der Erde wollten gar nicht schlafen gehen, denn die Nacht war so klar und wunderbar. Sie feierten Feste und tanzten auf den Straßen, so wie beim Karneval in Rio, einer Stadt in Brasilien, in der die Menschen mit vielen bunten Kostümen sehr ausgelassen feiern. Der Erde, die Tag für Tag sich um sich selbst dreht, konnte es nicht schnell genug gehen, weil sie es kaum erwarten konnte, die Geschichte weiter zu hören. Am liebsten hätte sie sich schneller gedreht. Danach zumute war ihr schon. Aber dann dachte sie an die Menschen. Die wären sicher mit der Zeit durcheinander gekommen, wenn die Nacht und der Tag in 24 Stunden zweimal gekommen wären. Also nahm sie sich zusammen und drehte sich genauso wie immer.
Die Erde liebte Geschichten und oft genug hat der Mond ihr welche erzählt. Sie glaubte sogar, dass es ein eigenes Geschichtenuniversum geben müsste. Und immer wenn jemand eine Geschichte erzählt, wird in diesem Universum ein Stern geboren.
"Hallo Erde! Träumst du?" wurde die Erde vom Mond aufgeschreckt. "Nein! Hab nur an deine Geschichte von der ängstlichen Sonne gedacht und mir überlegt, wie sie weitergehen könnte." murmelt die Erde.
"Na dann hör gut zu, wie es weiter geht," fuhr der Mond fort. "Die ängstliche Sonne war von dieser Zeit an ganz allein zu Hause und spielte mit sich selbst. Doch es kommt die Zeit, wie sie für uns alle kommt, dass wir allein am Himmel unseren Platz einnehmen müssen. So kam auch die Zeit für die ängstliche Sonne. Und da sie mit niemandem zusammen sein wollte, suchte sie sich einen Platz, an dem keiner sie sehen konnte. Sie versteckte sich hinter dem Andromedanebel. Der Platz ist so verlassen, dass kein Stern dort Urlaub machen oder freiwillig jemals diesen Platz aufsuchen würde.
Eines Tages aber kam der Sternenbriefträger mit einem Brief vom Funkelsternchen zu der ängstlichen Sonne. „Post für dich vom Funkelsternchen!“, rief er und warf ihr den Brief vors Gesicht. Die ängstliche Sonne war sehr neugierig und öffnete ihn.
Wie erstaunt war sie aber, als sie nun las, wie sich das Funkelsternchen dafür entschuldigte, damals nicht zum Spielen gekommen zu sein. Es musste seinem Vater beim Bestellen des Sternengartens helfen. Die Sternchen seien alle sehr traurig, dass sie damals die ängstliche Sonne verdächtigt hatten. Der Planet sei von selbst abgehauen, und niemand hätte ihn geklaut. Schon gar nicht die ängstliche Sonne! Und ganz zum Schluss stand in dem Brief noch, dass das Funkelsternchen die ängstliche Sonne doch sehr vermisse.
Oh je, dachte da die ängstliche Sonne, als sie den Brief zu Ende gelesen hatte. Ein paar Tränen konnte man in ihrem Gesicht sehen. Doch dann fasste sie Mut, denn sie wollte das Funkelsternchen nicht allein lassen. Sie machte sich auf in unsere Galaxie und sah das Funkelsternchen in der Nähe unseres Planetensystems. So kam es, dass sich die ängstliche Sonne direkt neben die alte Sonne stellte und mit ihren Strahlen das gesamte Planetensystem vergoldete. Besonders du, Erde, siehst jetzt noch schöner aus!“
„Ich war schon immer so schön!“, gab die Erde dem Mond zu verstehen. Und jetzt ist das Märchen zu Ende und du schläfst sanft ein. Kuss und Schluss.
© GOO, 1994
Das Märchen von den Flugriesen zu Krakow am See
- Geschrieben von: Günter Opitz-Ohlsen
Einmal lebte zu Krakow am See das Geschlecht der Flugriesen. Imposante Geschöpfe waren dies, mit langem Haar und Flughäuten zwischen Armen und Körper, die sich in des Teufels Namen in die Lüfte erhoben, um die Schätze dieser Welt zusammen zu tragen. Am 2.7. eines jeden Jahres kam der Satan aus dem Teufelsschlund im See gefahren, um sich all die schönen Kostbarkeiten einzuverleiben. Heute gibt es diese Könige der Lüfte nicht mehr, aber damals, hättest du da schon gelebt, hättest du sie schon aus der Ferne hören können. Fütt-Fütt-Fütt machte es, und das kam daher, weil der Flügelschlag der Flugriesen so regelmäßig war, wie sich der Sekundenzeiger einer Uhr jede Sekunde mit einem „Tick“ eine Position weiter bewegt.
Die Flugriesen konnten Loopings fliegen oder sich im Flug zur Seite legen. Sie waren die Akrobaten der Lüfte, und heute hättest du sicherlich einen riesigen Spaß daran, wenn du dich auf ihren Rücken in die Lüfte würdest emporheben können. Aber leider sind diese Zeiten schon lange vorbei. Und das Gefühl der Flugriesen, das sie verspürten, wenn sie sich zu jenen Zeiten ihre Kunststücke in absoluter Freiheit über dem Krakower See gegenseitig vorführten, kann ich mit Worten nicht beschreiben.
Doch was so schön ist, hat meistens auch eine Kehrseite. Auf den Flugriesen lag der Fluch des Teufels, dessen Großmutter einst den Krakower See erschaffen haben soll. Als diese nämlich den riesengroßen Stein nach ihrem nervigen Enkelkind warf, wurde nicht nur der Krakower See ausgehoben, sondern auch eine Gruppe von Flugriesen aufgeschreckt, die in der Sonne dösten. Da erst entdeckte die Großmutter des Teufels die königlichen Geschöpfe, und in ihrem Zorn verfluchte sie die Herren der Lüfte: Die Flugriesen mussten jedes Jahr in der Nacht vom 1.7. auf den 2.7. in die Welt hinaus fliegen und den Menschen ihre Schätze wie Gold, Silber, Diamanten, Rubine oder andere Edelsteine stehlen. Sobald sie genug zusammen geraubt hatten, flogen sie zurück und versenkten all dies an der tiefsten Stelle des Sees. Denn dort ist auch der Höllenschlund, und all die Kostbarkeiten fuhren somit auf direktem Weg in die Hölle. Weg waren sie, die Schätze, und kamen nicht mehr wieder.
Die Flugriesen wollten die Menschen gar nicht bestehlen, aber der Fluch war so mächtig, dass sie sich nicht dagegen wehren konnten. Und so kam es, dass jedermann und jedefrau große Angst hatte, sobald die Flugriesen am Himmel erschienen, obwohl es nicht die Nacht vom 1.7. auf den 2.7. war. Auch die Flugriesen hatten es mit der Zeit immer schwerer, Schätze zu finden und so mussten sie immer weiter fliegen. Bis in den Orient und nach China sind sie damals geflogen, um an Gold und Edelsteine für den Teufel zu kommen. Und so kam es, dass die Flugriesen überall auf der Erde gefürchtete Wesen waren.
Weil der Teufel aber immer weniger Schätze bekam, wurde er immer zorniger und setzte die Flugriesen mächtig unter Druck. Sie müssten fortan jeden Tag nach Schätzen Ausschau halten.Wenn sie dann aber welche fanden, sollten sie sich den Ort gut merken und an besagtem Tag dorthin fliegen, um sich die Schätze zu holen. Unter diesen Bedingungen machte es den Flugriesen keinen Spaß mehr, und sie verloren alle Lust am Leben. Immer nur auf der Suche nach den Schätzen dieser Welt und keine Ruhe mehr, um miteinander zu spielen, miteinander zu essen, miteinander zu reden, miteinander zu lachen, miteinander zu weinen, miteinander zu arbeiten, kurz: miteinander zu leben.
Da kam eines Tages ein Flugriese auf die Idee, so viele Schätze in der Welt einzusammeln, dass man den gesamten Höllenschlund im Krakower See damit verstopfen konnte. Gesagt, getan! So brachten die Flugriesen nach und nach alle die Schätze zum See und versenkten sie genau an der Stelle, wo der Höllenschlund war, nämlich an der tiefsten Stelle des Sees, da wo heute Lehmwerder liegt. Und als der magische Tag kam und der Teufel die Hölle wie jedes Jahr öffnen wollte, da war der Zugang verstopft und er konnte nicht auf die Erde fahren, um sich all die Schätze zu holen.
Die Flugriesen aber konnten wieder weiter glücklich leben, so wie es vor dem Fluch war, den die Großmutter des Teufels über sie ausgesprochen hatte.
Noch heute kannst du den Schatz sehen, wenn du in der Nacht vom 1.7. auf den 2.7. ein magisches Dreieck legst, das aus dem Haar eines Blinden, eines Taubstummen und einem vom deinen eigenen Haaren besteht. Die drei Ecken des Dreiecks aber müssen alle gleich weit voneinander entfernt sein und du musst genau um Mitternacht in der Mitte dieses magischen Dreiecks hocken. Wenn du dann die Augen schließt, kannst du den Schatz sehen, die vielen Edelsteine, das Gold oder das Silber, das ebenso glänzt wie die kleinen Wellen auf dem Krakower See. All das kannst du sehen! Aber ehrlich, so ganz unter uns gesagt, so schön ist das gar nicht, einen Schatz aus Gold und Edelsteinen zu besitzen, wie sich manche Menschen das ausmalen. Denn wo viel Sonne, die alles zum Glänzen bringt, so sagt man, da ist auch viel Schatten, der alles stumpf werden lässt.
© goo, Juli 2009
Das Märchen vom Tahruk
- Geschrieben von: Günter Opitz-Ohlsen
Es war einmal in einem fremden Land, auf einem unbekannten Planeten, in einer noch nicht entdeckten Galaxie ein Mann, der hieß Tahruk. Das bedeutet so viel wie Herr Großklein. Jukur, so hieß das Land, und die Stadt, in der er wohnte, hieß Jekurit. Tahruk hatte sehr, sehr viel zu tun. Immer wieder kamen Jekuriten zu ihm, die entweder zu kleine oder zu große Sachen gekauft hatten und damit nicht zufrieden waren.
So klopfte einst Einer an Tahruks Tür und zeigte auf sich und ein Auto, das er gerade erst gekauft hatte. Der Mann war viel zu klein oder das Auto viel zu groß, und Tahruk wusste, was er zu tun hatte. Er holte seine Redemütze von der Garderobe und stellte sich vor das Auto. Wenn eine Sache kleiner werden sollte, sprach er schlecht über sie. Sollte eine Sache aber größer werden, dann sprach er in den allerbesten Tönen, damit sie wachsen konnte. So hielt Tahruk eine böse Rede über das Auto und es wurde immer kleiner, und dies tat er so lange, bis die Größe des Autos zur Größe des Jekuriten passte.
Ein andermal kam ein Jekurit vorbei und holte Tahruk zu einem Haus, das viel zu groß war für ihn und seine Familie. Auch hier konnte Tahruk weiterhelfen. Die Jekuriten waren sehr dankbar, dass es Tahruk gab. Ohne ihn hätten sie nicht leben können.
Kein Wunder, dass sich die Begabung Tahruks nicht nur im ganzen Land Jukur wie ein Lauffeuer herumsprach. Auch auf anderen Planeten in der Galaxie war Tahruks Name ein Begriff. So kam einst ein kleiner König zu ihm, der auf Satimur, einen Planeten etliche Lichtjahre von Jukur entfernt, wohnte. Ihm war sein Planet viel zu klein geworden. Er kam sich viel größer vor, als er in Wirklichkeit war und er wünschte sich einen großen Planeten, der seiner Größe auch entsprach. Also flogen beide in ihren Raumschiffen nach Satimur, damit Tahruk sein Werk vollbringen konnte.
„Mach ihn größer!“ sprach der kleine König und Tahruk redete auf den Planeten ein. „Viel größer muss er werden!“ wiederholte der kleine König und Tahruk erfand die allerschönsten Wörter. Und siehe da: Der Planet wurde tatsächlich immer größer. „Jetzt ist er groß genug! Hör auf!“ rief der kleine König und Tahruk verstummte sofort. „Ist er nicht schön, mein Planet? Und jetzt ist er auch gerade so groß, wie ich!“ hörte Tahruk den kleinen König sagen, der mit seinem kleinen Raumschiff sofort zum Planeten flog, denn das hatte Tahruk nicht vergrößert. Schließlich hatte der kleine König ihn nicht darum gebeten.
Als Tahruk endlich wieder zu Hause war, wollte er sich nur noch ausruhen. Doch da war eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Es war der kleine König und Tahruk hörte Schreckliches: „Du musst unbedingt kommen! Es ist fürchterlich! Mein Planet ist jetzt zwar so groß, wie ich ihn haben wollte, aber er ist viel zu groß für mein Schloss. Wenn ich nach Ukur zu meiner Tante reisen will, brauche ich jetzt 100 Mal länger als zuvor. Und meistens geht mir mitten auf der Strecke der Sprit aus! Mein Auto ist jetzt doch viel zu klein für meinen großen Planeten! Du musst helfen, Tahruk! Komm sofort vorbei!“. Nun war Tahruk klar, was geschehen war: Der Planet hatte sich zwar vergrößert, doch alles andere, was auf dem Planeten war und lebte, war in seiner ursprünglichen Größe geblieben.
Also flog Tahruk sofort mit seinem Raumschiff nach Satimur. Aber er landete nicht, sondern blieb in der Umlaufbahn. Und erneut setzte er seine Redemütze auf und begann zum Planeten zu sprechen. Diesmal benutzte er nur die allerschlechtesten Worte, die ihm einfielen, um den Planeten wieder auf seine ursprüngliche Größe schrumpfen zu lassen. Das war sehr schwer, denn anfangs rührte sich gar nichts. Der Schweiß tropfte ihm vom Gesicht auf den Raumanzug. Es war sehr anstrengend und fast hätte er aufgegeben. Doch er konnte den kleinen König jetzt nicht im Stich lassen. Also versuchte er es nochmal. Immer böser wurde seine Rede, bis der Planet endlich kleiner wurde. Und Tahruk war sehr froh, als er den Planeten wieder auf seine ursprüngliche Größe kleingeredet hatte.
Zu Hause angekommen, hörte er die Stimme des kleinen Königs ein weiteres Mal auf dem Anrufbeantworter: „Ja, jetzt ist alles viel, viel besser als zuvor. Alles ist größer geworden. Ich kann meine Tante wieder besuchen, ohne dass mir der Sprit ausgeht. Tahruk, du bist und bleibst der Größte!“
Endlich war es geschafft. Tahruk aber war vollkommen überarbeitet. Er konnte jetzt nur noch an Eines denken: ins Bett gehen und schlafen.
© goo, Juni 2009