Es ist schon lange her, Kinder, als ich meine erste Forschungsreise nach Sunamien unternahm. Es ging von Hamburg aus los. Ihr wisst doch, wo Hamburg liegt, oder? Wenn ihr das aber nicht wissen solltet, dann könnt ihr im Internet nachschauen. Dort gibt es sehr viel über Hamburg zu erfahren. Du hast kein Internet? Ist auch nicht schlimm. Dann gehst du eben, wie ich das gemacht habe, als ich so alt war wie du, in eine öffentliche Bibliothek. Da kannst du dir Bücher ausleihen, und ich fresse einen Besen, wenn die kein Buch über Hamburg haben sollten. Du kannst nicht lesen? Bist vielleicht noch zu klein? Dann frag doch deine Mutter oder deinen Vater oder deine älteren Geschwister oder deinen Opa oder deine Oma. Da gibt es bestimmt jemanden, der dir weiter helfen kann. Nein, alle in deiner Familie haben keine Zeit für dich? Das ist aber traurig! Ja, dann kannst du deine Erzieherin oder deinen Erzieher in der KITA fragen oder, wenn du schon in die Schule gehst, dann fragst du einfach deinen Lehrer oder deine Lehrerin. Mein Vater hat mir immer gesagt, dass da, wo ein Wille ist, sich auch ein Weg finden wird. Vielleicht hat er ja recht damit gehabt. Aber, dass du etwas willst, ist wichtig, denn sonst würde es dich gar nicht interessieren, wo Hamburg liegt, und du würdest jetzt auch (s.o.) nicht weiter lesen oder zuhören.

 

 

 

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Ich habe extra Platz gelassen, damit du all das, was du über Hamburg erfahren hast, hier hinschreiben kannst. Vielleicht machst du dir nur Stichwörter, wie viele Einwohner zum Beispiel Hamburg hat. Oder wo Hamburg liegt, oder ob Hamburg einen Hafen hat. Was, das weißt du schon?! Das ist es ja, was ich dir eigentlich sagen wollte. Denn nach Sunamien kommt man nur mit dem Schiff. Nicht mit jedem Schiff. Es muss ein ganz besonderes Schiff sein. Ein Schiff, das dort auch hinfährt. Aber hier gibt es ein kleines Problem. Denn Sunamien ist eine so kleine Insel im Pazifik, dass es auf keiner Karte verzeichnet ist. Woher soll man wissen, wie man dahin kommt? Diese Frage kann dir nur ein Kapitän beantworten, der aus Sumanien kommt oder schon einmal dort hingefahren ist. Und solche Kapitäne gibt es eben in Deutschland nur in Hamburg. Jetzt weißt du auch, warum ich nicht in Bremen oder Kiel oder Wismar war. Wie, du kennst diese Städte nicht? Dann mach doch das, was ich dir oben schon gesagt habe. Ich lasse dir wieder Platz dafür, deine Notizen festzuhalten.

 

 

 

 

 

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Warum wollte ich nochmal nach Sumanien? Natürlich wollte ich den Bürzelbär sehen, der dort lebt und nur dort. Der Bürzelbär ist ein sehr scheues Tier. Nur wenn man sehr geduldig ist, kann man ihn sehen. Deshalb habe ich meinen Fotoapparat mitgenommen, um Aufnahmen zu machen. Bis jetzt gab es noch keine Fotos oder Zeichnungen von ihm. Ich war sehr aufgeregt, als ich an Bord ging. Der Kapitän war sehr freundlich zu mir. Er zeigte mir meine Kajüte. Dort schlief ich und konnte mich auch tagsüber aufhalten. Die Überfahrt war sehr stürmisch und ich war richtig froh, als das Schiff endlich vor Sunamien vor Anker ging.

Jetzt also war meine Stunde gekommen. Ich packte meinen Rucksack und ging an Land. Ich war ganz allein, als ich mich vom Kapitän verabschiedete, der mich erst in einem Monat wieder abholen sollte. Die Insel ist nicht groß, aber überall dicht bewaldet. Meterhohe Bäume stehen am Strand, und die Stämme sind so dick wie ein Auto lang ist. Ich habe sofort Fotos gemacht. Es war gerade Frühling geworden. Dann ist die Chance, einen Bürzelbär in freier Wildbahn zu sehen, am größten, weil die Bären über den Winter einen langen Schlaf halten und erst im März wieder aufwachen. Sie kommen aus ihren Verstecken hervor und suchen sich Nahrung. Sie haben den ganzen Winter über nichts gegessen, nur geschlafen und du kannst dir bestimmt vorstellen, wie hungrig die Bären jetzt sind.

Deshalb dürfen sie beim Fressen auch nicht gestört werden. Alles muss sehr vorsichtig geschehen und sehen sollten sie dich auch nicht, weil sie sonst Angst bekommen und auf dich losgehen. Denn Bürzelbären sind sehr groß. So groß wie ein Pferd vielleicht, und sie haben eine besonders große Nase. Die Bärenfrau ist braun und der Bärenmann ist weiß, und beide haben einen Bürzel am Hintern. Aber den eigentlichen Bürzel haben nur die Bärenmänner. Die Bärenfrauen haben ein Pfftloch. Und wenn sich die beiden Bären gut leiden können, dann verbinden sie sich und feiern Bürzelhochzeit.

Wenn Bürzelbären sich mögen, dann bleiben sie ein ganzes Leben zusammen. Das ist so wie bei den Raben. Die Bürzelbärfrau hat oben auf ihrem Kopf eine Mulde. Dort trägt sie ihr Bürzelbaby. Die Bürzelbabys sind so klein, wenn sie auf die Welt kommen, dass sie prima in die Mulde auf dem Kopf passen. Und wenn sie größer sind, dann schauen sie aus der Mulde heraus und lernen so die Welt von oben kennen. Fast wie beim Känguruh die Kängababies gleich in den Beutel hinein wachsen.

Ich hatte mich unter einem Baum versteckt. Warten, warten, immerzu warten ist langweilig, wenn kein Bürzelbär in Sichtweite ist. Also hatte ich mich auf den Rücken gelegt und betrachtete durch die Zweige den Himmel. Musst du auch einmal machen. Das ist ganz spannend. Von einer großen weißen Wolke lösten sich kleinere Wolken ab. Die erste sah aus wie eine Tänzerin, die sich im Kreis dreht. Danach löste sie sich auf. Dann hatte sich aber schon die nächste kleiner Wolke von der großen weißen Wolke gelöst. Sie sah diesmal aus wie ein Läufer, der am Rand der großen Wolke entlang lief, als wollte er die Tänzerin einholen. Dabei machte er einen großen Schritt, der war so groß, als ob er springen wollte. Aber auch der Läufer löste sich bald im blauen Himmel auf. Und dann sah ich eine Wolke, die aussah wie ein Bürzelbär. Wirklich, sie sah genau so aus, wie ich mir den Bürzelbär vorgestellt hatte. Und dann hörte ich ein „büüürzel, bürzel, bürzel, büüüürzel“. Ich sah auf und da sah ich wirklich einen großen weißen Bürzelbär auf einer Wiese stehen. Daneben stand seine Frau und die trug sogar ihr Baby auf dem Kopf. Es war schon ein wenig größer und schaute von oben auf die Wiese. Ich nahm sofort meinen Fotoapparat heraus und machte sehr viele Bilder. Die Bürzelbären hatten mich noch nicht entdeckt, sonst wären sie bestimmt weggelaufen.

Dies war gewiss der schönste Tag in meinem bisherigen Leben. Endlich hatte ich die Bürzelbären gesehen und fotografiert. Besser konnte der Tag nicht sein. Später sah ich noch weitere Bürzelbären auf der Wiese grasen. Bürzelbären sind Vegetarier, sie essen kein Fleisch. Sie greifen auch keine Menschen an, wie ich zuerst dachte, sondern sind ganz friedvolle Lebewesen, obwohl sie so stark sind, dass sie ganze Bäume entwurzeln könnten. Deshalb greift sie auch kein anderes Lebewesen an, weil sie vor der Kraft des Bürzelbären Angst haben. Viel wichtiger aber war meine Entdeckung, dass ich mit den Bürzelbären sprechen konnte. „Büüürzel, bürzel, bürzel, büüüürzel“ heißt nämlich so viel wie „guten Tag, wie geht es dir“. Eigentlich geben die Bürzelbären nur ein langezogenes „Büüüürzel“ von sich oder aber kurzes „Bürzel“. Deshalb besteht ihre Sprache nur aus langen und kurzen „Bürzels“. Als ich ein Kind war, da habe ich das Morsealphabet gelernt, das auch nur aus langen und kurzen Tönen bestand. So war das eben bei den Bürzelbären auch. Geht es dir gut, dann musst du „bürzel, bürzel, büüüüürzel“ antworten und wenn es dir schlecht geht, so sagst du dreimal schnell hintereinander "bürzel!“. Einfach, oder nicht?

So konnte ich mich immer besser mit den Bürzelbären verstehen und habe dann den Rest der Zeit bei ihnen verbracht. Ich konnte mit ihnen leben, weil sie mich nicht fürchteten und ich mit ihnen sprechen konnte.

Wenn du traurig bist, dann kannst du auch ein lang gezogenes „büüüürzel“ sagen. Aber nur eins. Dann kommt der Bürzelbär zu dir und kuschelt mit dir, damit du getröstet wirst und es dir bald besser geht. Wenn du froh bist, dann sagst du dreimal ein langgezogene „Büüüürzels“ und der Bürzelbär will mit dir spielen. Wenn du Angst hast, dann sagst du ganz schnell fünfmal hintereinander ein kurzes „Bürzel“ und der Bürzelbär wird zu dir kommen und dich beschützen. Denn die Bürzelbären haben auch Gefühle wie wir Menschen. Aber das weißt du sicherlich, weil du vielleicht ein Haustier hast – oder einen Teddy.

Dann kam die Zeit des Abschieds. Ich winkte den Bürzelbären zu, und die haben das sogar verstanden. Sie sahen alle zu mir und bürzelten los, dass es eine Freude war. Komm bald wieder, haben sie gebürzelt und: Vergiss uns nicht! Wie sollte ich auch. Der Kapitän lud mich auf sein Schiff samt meiner Ausrüstung, und das Schiff stach in See. Vierzehn Tage dauerte die Rückreise. Wir kamen in einen heftigen Sturm und dabei habe ich meinen Fotoapparat verloren, weil ich die hohen Wellen fotografieren wollte. Alles war weg! Die ganzen Bilder von den Bürzelbären. Weg für immer. Aber ich hatte sie noch in meinem Kopf. Und das war gut so, weil ich zu Hause angekommen in meiner Werkstatt die Bürzelbären aus Speckstein nachgebildet habe. Ich zeig sie dir einmal. Dann kannst du auch einen nachmachen oder besser eine ganze Familie? Jedenfalls werde ich wieder nach Sunamien fahren und diesmal werde ich besser auf meinen Fotoapparat aufpassen.

 

© GOO, April 2012

 

 

 

 

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